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Wer macht mehr Mist ?

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Die Milch in der Flasche wird immer beliebter. Nicht zuletzt deshalb, weil sie als umweltfreundlicher gilt. Aber die Wissenschafter streiten sich noch über die Folgen.

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Die Milch in der Flasche wird immer beliebter. Nicht zuletzt deshalb, weil sie als umweltfreundlicher gilt. Aber die Wissenschafter streiten sich noch über die Folgen.

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Siebzig Prozent der Wiener kaufen ihre Milch vor elf Uhr vormittags. Dies ist nicht das Ergebnis einer gezielten Marktanalyse, sondern der einzig mögliche Schluß, den ein Vergleich der Aussagen von Anton Eder, dem Obmann der Osterreichischen Milchinformationsgesellschaft (OMIG), und die eigene Erfahrung zuläßt. Eder meint, daß der Bedarf an Flaschenmilch zu siebzig Prozent gedeckt sei, während in der Praxis aber immer wieder Versuche, nach elf Uhr eine Flasche Milch zu ergattern, scheitern.

Fragen an Lebensmittelhändler ergeben auch ein anderes Bild. Im Schnitt werde etwa nur ein Viertel der bestellten Menge geliefert, heißt es. Und das Wochen nach der Einführung dieses „neuen“ Pfandsystems. Wer also berufsbedingt oder aus anderen Gründen erst abends einkauft, hat nach wie vor das Nachsehen.

Das „Machtwort des Konsumenten“, wie Niederösterreichs Landeshauptmannstellvertreter Erwin Pröll den Run auf das neue Produkt nennt, traf die Müch-wirtschaft offensichtlich auf dem falschen Bein. Zwar war selbst Pröll von dem großen Andrang überrascht, doch kann man den Milchmanagern den Vorwurf nicht ersparen, sie kennen den eigenen Markt nicht so recht. Zunächst hieß es immer wieder, es sei überhaupt kein Bedarf gegeben. Dann, als der Verbrauch alle Erwartungen übertraf, rechnete man mit einem Absinken; der Reiz des Neuen würde ohnehin bald vorbei sein. Auch das bewahrheitete sich nicht.

In der Frage der Umweltverträglichkeit von Flaschen- und Packerlmilch gibt es ebenfalls noch große Differenzen. Die OMIG beispielsweise beruft sich auf ein Gutachten der Universität für Bodenkultur, in dem für keines der beiden Systeme nennenswerte Vorteile ausgemacht werden. In allen vier Bereichen — Energie, Luftbelastung, Wasserbelastung und Abfallmenge — sind nach Professor Egon Bojkow vom Verpackungslabor die Belastungen gleich hoch, sieht man von einigen Schwankungsmöglichkeiten durch verschiedene angenommene Umlaufzahlen der Flaschen ab.

Eine Aussage, die nicht unumstritten ist.

Professor Sebastian Alber vom Technologieinstitut der Wirtschaftsuniversität Wien läßt ein Patt nur in den Bereichen Energieverbrauch und Luftverschmutzung gelten. Beim Wasser schneidet die Flasche — auch bei optimaler Verwendung durch die Packerlhersteller — besser ab.

Von der Abfallmenge her, heißt es, sei die Flasche ebenfalls weitaus umweltfreundlicher.

Die Unterschiede ergeben sich aus unterschiedlichen Ausgangsdaten. Professor Bojkow faßt verschiedene europäische Studien zusammen, von denen Alber meint, sie seien auf Osterreich nicht übertragbar.

Eine wichtige Frage für einen Vergleich der beiden Systeme ist auch, wie viele Umläufe der Flasche erwartet werden. Bei der OMIG rechnet man, daß jede Flasche zehn- bis fünfzehnmal wiederverwendet wird. Das ist wahrscheinlich zu niedrig gegriffen, wenn man bedenkt, daß eine Bierflasche bis zu vierzig, eine Mineralwasserflasche bis zu dreißig Umläufe schafft. Der Unterschied ist darauf zurückzuführen, daß es bei Mineralwasser verschiedenste Formate gibt, während die Bierflasche standardisiert ist und in jedem Geschäft zurückgenommen wird. Bei der ebenfalls standardisierten Milchflasche ist also eher mit den höheren Zahlen zu rechnen.

Flaschen müssen auch gereinigt werden — Wasserverschmutzung entsteht daher auf jeden Fall. Einen Vergleich der Abwasserbelastung durch Flaschenreinigung hat Rudolf Stürzer, Abwasserexperte in der Niederösterreichi-schen Umweltanwaltschaft, für die Molkerei Horn angestellt. Die Verunreinigung, die durch das Waschen von täglich 34.000 Flaschen entsteht, entspricht dem, was 100 Menschen pro Tag an organischen Schadstoffen ins Wasser abgeben. In den gesamten Abwässern der Molkerei macht das nur drei bis fünf Prozent aus. Wird das Abwasser durch eine moderne Kläranlage geleitet, so bleiben fünf Einwohneräquivalente übrig. Das heißt, die Waschanlage verunreinigt soviel wie ein Familienhaushalt. Damit sei, so Stürzer, ein wesentlicher Vorteil gegenüber den hochkonzentrierten Abwässern der Papiererzeugung gegeben.

Alles in allem also wohl doch Vorteile für die Flasche, was die Umweltverträglichkeit betrifft.

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