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Die Pflanze Hevea

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In der Zahl der für die moderne Wirtschaft und Technik unentbehrlichen Rohstoffe nimmt der Kautschuk einen hervorragenden Platz ein. Immer unersättlicher wird der Hunger nach diesem weißen Saft der tropischen Pflanze Hevea, der in proteus- artiger Verwandlungsfähigkeit befruchtend in die vielverzweigten Kanäle unseres Wirtschaftslebens einfließt.

Schon vor der Entdeckung Amerikas durch die Spanier betrieben die Eingeborenen Mittel- und Südamerikas seine Gewinnung, indem sie Löcher in die Stämme des Kautschukbaumes schlugen und den ausfließenden Saft in Gruben auffingen und eintrocknen ließen. Diese primitive Technik wurde später dadurch verfeinert, daß man den Saft in Tonkapseln sammelte und durch Zusatz von natürlichen Säuren, wie Essigsäure oder Ameisensäure, zur Gerinnung brachte. Angeblich soll den Indianern schon die Vulkanisierung des Kautschuklatex’ mit Hilfe von Schwefel bekannt gewesen sein.

Die erste Kunde von diesem seltsamen Material erhielt Europa durch eine Schrift des Oviedo y Valdez (1535), aber erst 1763 gelang es De la Condamine, in Peru eine Materialprobe davon zu erhalten. Der älteste Gebrauchsgegenstand aus Kautschuk, von dem wir Kenntnis haben, war der Radiergummi (1770). Annähernd um die gleiche Zeit, so meldet die Chronik, versuchte ein Mann, namens Ackermann, Gewebe mit Kautschuk zu imprägnieren, um sie wasserdicht zu machen. Er erntete aber mit seiner Erfindung, die freilich noch recht mangelhaft war, nur den Spott seiner Zeitgenossen. Einen beachtlichen Schritt weiter führte die

Beobachtung Haywards, der feststellen konnte, daß Kautschuk durch Bestreuen mit Schwefel seine Klebrigkeit verliert. Diese wichtige Entdeckung fand in dem 1839 von Goodyear patentierten Verfahren zur Kautschukvulkanisation ihre technische Verwertung. Von diesem Zeitpunkt an beginnt so recht der Siegeslauf des Kautsdiuks um die Welt.

Die Gewinnung des Wildkautschuks war lange Zeit ein eifersüchtig gehütetes Monopol Brasiliens, bis es eines Tages einem kühnen englischen Forscher gelang, das strenge Ausfuhrverbot für Heveapflanzen auf abenteuerliche Weise zu umgehen und eine Anzahl davon nach England zu schmuggeln. Heute hat der Plantagenkautschuk mit einer Jahreserzeugung von rund einer Million Tonnen, gegenüber von nur 17.000 Tonnen Wildkautschuk, die absolute Führung an sich gerissen. Asien und der indonesische Archipel sind nunmehr die Hauptlieferanten des Weltkautschuks geworden.

Bei der technischen Weiterverarbeitung des Rohkautschuks wird dieser mit Wasser eingeweicht, durchgeknetet und mit bestimmten Zuschlägen (Ruß usw.) versehen. Die geformten Stücke werden nun mit Schwefel in der Wärme, oder mit Chlorschwefel bei gewöhnlicher Temperatur behandelt (Warm-, beziehungsweise Kaltvulkanisierung), wodurch sie eine gleichmäßig elastische Beschaffenheit erhalten und zugleich gegen chemische Umwelteinflüsse widerstandsfähiger werden. Wird der Schwefelzusatz über das normale Maß hinaus erhöht, dann erhält man den hartelastischen Ebonit.

Daß sich alsbald auch die Wissenschaft für dieses technisch so wichtige Naturprodukt interessierte, ist verständlich. Durch chemischen Abbau fand man als einfachstes Bauglied einen verzweigten, ungesättigten Kohlenwasserstoff, von den Chemikern Isopren genannt, der durch Selbstverkettung bis zu den hochmolekularen Dimensionen das Kautschukmolekül aufbaut. Röntgenometrische Untersuchungen haben diese auf chemischem Wege ermittelten Vorstellungen von der Struktur des Kautschuks ergänzt und bestätigt.

Wie früher Brasilien, so waren es jetzt die tropischen Plantagenländer, die durch überspitzte Ausnützung ihrer Monopolstellung den Anlaß dazu gaben, daß die klimatisch weniger begünstigten Industrieländer ihre Energien auf die Herstellung eines synthetischen Produkts konzentrierten, welches das natürliche ersetzen konnte. Gewisse Vorarbeiten waren bereits geleistet worden. 1897 hatte Bouchardat durch Einwirkung von Salzsäure auf Isopren das erste kautschukähnliche Produkt erhalten. 1910 war gleichzeitig in England und Deutschland die Entdeckung gemacht worden, daß sich Isopren durch metallisches Natrium zu einem hochmolekularem Aggregat verketten läßt. Zwei Jahre später entwickelte man in Deutschland die Emulsionspolymerisation.

Als es im ersten Weltkrieg für Deutschland unmöglich wurde, sich Naturkautschuk zu beschaffen, verdoppelte man die Anstrengungen zur Entwicklung eines synthetischen Verfahrens und schuf unter der maßgeblichen Mitarbeit F. Hofmanns den Methylkautschuk, so genannt, weil das Ausgangsprodukt, Dimethylbutadien, eine Methylgruppe mehr enthält als Isopren. Die Reaktion von Kohle und Kalk lieferte Karbid und dieses gibt mit Wasser das Azetylen. Durch chemische Umwandlung konnte daraus das Butadien gewonnen werden, aus welchem schließlich durch geeignete Bündelung der künstliche Kautschuk hergestellt wird. Nach einer Periode der Inaktivität, welche einerseits durch die nach dem Friedensschluß wieder gegebene Möglichkeit, Naturkautschuk zu beziehen, und andererseits durch die wirtschaftliche Depression bedingt war, setzten um 1925 in Deutschland und auch in Rußland neuerdings intensive Untersuchungen zur Ausbildung eines wirtschaftlichen Syntheseverfahrens ein. Auch in Amerika begann man sich mit diesem Problem zu beschäftigen, doch konnte der Vorsprung Deutschlands erst nach Beendigung des zweiten Weltkrieges aufgehölt werden.

Das Resultat dieser vielfältigen Bemühungen war die Entwicklung und großtechnische Herstellung von synthetischen Kautschuksorten, die dem Naturkautschuk in vielen Punkten — wie Zerreißfestigkeit, Abriebfestigkeit, Beständigkeit gegen Lösungsmitteln und Alterung —— überlegen waren. Diese bewundernswerten Leistungen der Kunststoffchemie waren erst möglich geworden, als man einerseits durch das Studium der hochmolekularen Naturstoffe einen tieferen Einblick in deren strukturellen Aufbau gewonnen hatte, und andererseits Reaktionsbeschleuniger und -verzögerer sowie die Drucktechnik zu beherrschen gelernt und vor allem auch die geeigneten Werkstoffe für die Apparaturen geschaffen hatte.

Im Grunde genommen, ist die Bezeichnung „synthetischer Kautschuk“ irreführend und falsch, denn bis jetzt ist es noch nicht gelungen, Naturkautschuk zu synthetisieren. Die künstlichen Produkte weisen zwar in ihren physikalischen Eigenschaften große Ähnlichkeit mit natürlichem Kautschuk auf, in ihrer chemischen Zusammensetzung weichen sie aber mitunter weitgehend von diesem ab. Ist doch gerade der entscheidende Schritt zur Verbesserung der Qualität des Kunstkautschuks durch die Herstellung sogenannter Mischpolymerisate erzielt worden, also einer Molekularverkettung von Isopren oder Butadien mit Substanzen, wie Styrol, Akrylnitril und anderen, die chemisch gar kein Verwandtschaft mit Naturkautschuk aufweisen. Ein noch krasseres Beispiel ist der Silikonkautschuk, bei dem der geradezu paradoxe Fall eintritt, daß aus einem der härtesten Gesteinsmaterialien, dem Siliziumdioxyd, durch die Kunst des Chemikers ein kautschukartiger elastischer Stoff dargestellt wird. Vermöge seines anorganischen Skeletts ist dieser Werkstoff (nebenbei bemerkt eine Errungenschaft der letzten Jahre) imstande, weit höheren Temperaturen standzuhalten als das natürliche Produkt.

Obwohl also der sogenannte synthetische Kautschuk keineswegs mit dem natürlichen identisch ist (wie könnte er sonst diesem überlegene Eigenschaften besitzen), läßt er sich doch im großen und ganzen nach den herkömmlichen Verfahren der Kautschukindustrie verarbeiten und auch vukanisieren.

Heute hat sich die Verwendung von Kunstkautschuk allgemein durchgesetzt. Der au Butadien und Natrium gewonnene synthetische Kautschuk wird in Deutschland Buna genannt. Diese Bezeichnung ist durch Zusammenziehung der beiden ersten Buchstaben von Bu-tadien und Na-trium entstanden. Buna S und Buna N sind Mischpolymerisate aus Butadien und Styrol, beziehungsweise Akrylnitril. Perbunan ist ein Akrylmischpolymerisat, in welchem das Nitril in einem höheren Prozentsatz vertreten ist. Diese Sorten sind besonders widerstandsfähig. Die entsprechenden amerikanischen Bezeichnungen sind GR-S (Governement Rubber-Styrene) und GR-A (Governement Rubber-Acrylonitril). Der deutsche Vul- kollan N i ein Estertyp-Kautschuk von hervorragender Qualität, und die amerikanischen Typen Neopren und Thiokoll sind Kautschuksorten, die aus Chloropren (einem Chlorderivat des Isoprens), beziehungsweise aus Dichloräthylen und Natriumsulfid hergestellt sind. Die Russen benennen ihren Natriumkautschuk SKA und SKB, wobei SK die Anfangsbuchstaben von synthetischem Kautschuk bedeuten, und A, beziehungsweise B, auf die Gewinnung des Ausgangsmaterials Butadien aus Petroleum oder Alkohol hinweisen.

Mit den bereits erzielten erstaunlichen Erfolgen der Kautschukchemie ist die wissenschaftliche und technische Entwicklung natürlich noch lange nicht beendet und abgeschlossen, denn bekanntlich erwachsen aus jeder gelungenen Lösung eines Problems tausend neue Fragen, die ihrerseits wieder beantwortet sein wollen.

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