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Der Stein der Weisen

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Die Ergebnisse der chemischen Forschung der letzten Jahre und vor allem auch die Einsicht in das Wesen der Atomkerne, der Umwandiungsprozesse der Kerne, der wirklichen Elementarumwandlungen oder Kernumwandlungen und Kernreaktionen, ferner überhaupt die Möglichkeit stofflicher Wandlung und die Erzielung einer möglichst wertvollen Form der Materie, lenkten wieder den Blick auf die Idee und Geschichte der A 1 c h e m i e und auf ihr Problem. der völligen Beherrschung der stofflichen Umwelt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Historiker der alten Chemie und Alchemie zu vermuten berechtigt ist, auch hier Brücken anzunehmen, die Probleme der Atomphysik mit den Grundfragen der Biologie, die aber auch das Reich der organischen Individuen mit den „Individuen“, den Teilchen der Mikrophysik verbinden. Oder anders ausgedrückt, die kleinsten Individuen des organischen Reiches sind zugleich die größten Individualgebilde der atomphysikalischen Welt. Es steht darum eine Reihe von Fragen

mit diesem historischen Thema in Verbindung, die alle zur Geschichte und Idee des Steines der Weisen gehören.

Der Alchemist führt das unedle Metall in die materia prima zurück, um es dann von neuem aufzubauen zu Silber und Gold. Also zuerst Zerlegung und dann Synthese. Das Mittel zu diesem chemischen Prozeß ist der „Stein der Weisen“ oder die „Tinktur“. So wurde der „Stein der Weisen“, dieser märchenhafte Phantasiestein, das Symbol alten Alchemistenglaubens, das heißt, der Kunst der Vollendung, der Zuende-führung der Natur, der Erfüllung und Idee des Wachstums und der Metamorphose. Alchemie ist also die Lehre von der Möglichkeit der Verwandlung der Elemente. Sie ist eine Frucht des hellenistischen und syn-kretistischen Zeitalters (3. und 4. Jahrhundert nach Christus). Als Ganzes war sie das Ergebnis einer langen Entwicklung als Legierungstechnik und Theorie der Metallmischungen aus den industriellen Ver-

fahren, Techniken und Gewerben. Die Kunst der Abscheidung von Edelmetallen wurde als Hervorb r i n g u n g derselben gedeutet, Farbenänderungen und anderes erklärte man als Entstehung eines neuen Metalls. So kam man dazu, vom „Machen“ des Goldes und Silbers zu sprechen. Alchemie (Metallherstellung) nannte man auch Färbekunst, denn die M e t a 11 f ä r b u n g ist gleich der von Leinen oder Wolle. Man färbte die Metalle mit Schwefel, Quecksilber, Arsen, Schwefelantimon, Magnesia und anderem. Es bestand ein Zusammenhang zwischen alchemistischer Technik und der Herstellung künstlicher Edelsteine. Glasfärberei, Alchemie, Goldrubine waren eine Technik, Der Stein der Weisen galt als eine Art Ferment (Hefe, Enzym, Goldsamen, Streupulver, Goldhefe). Er wird auf die schmelzenden Metalle „geworfen“.

In der Alchemie verbirgt sich eine Philosophie der Metamorphosen der Materie und ihrer metaphysischen, und rationalistischen Folgerungen, die sich an eine uralte Legierungstechnik anschlössen. Alchemie ist die Lehre von der Möglichkeit der Verwandlung der Elemente. In diesen einem schwärmerischen und enthusiastischem Forscherdrange entspringenden Zielen lag zutiefst der uralte Steinglaube und die Geschichte ähnlicher Phantasiesteine, die meist mit dem Stein der Weisen identisch oder verwandt sind. Es sei hier nur an den „heiligen Gral“ erinnert, der einer bestimmten Gruppe von sogenannten Zaubersteinen zuzuzählen ist. Auch er galt nach altem Volksglauben als Mittel (Panazee des Lebens), um stoffliche Wandlungen möglich zu machen und die wertvollsten Formen der Materie zu erzeugen. Es handelt sich hier in diesem ganzen Vorstellungskreis um den Glauben an den Zauber und an die Kräfte, die dem Steine innewohnen. Man nimmt eine Seele des Steines an und glaubt an die Untrennbarkeit von Seele und Stoff. Der Stein hat seine Lebensgesetze und als Zauberstein seine Wirklichkeitsgrade (je nach dem im Steine verborgenen Leben). Steine als Edelsteine und Schmuck (vor allem aus Gold) halfen ihre seltsame, aus dem Reichtum alter, weitgewanderter Volksphantasie stammende Metaphysik und sind die Hauptprobleme der alchemistisch-astrologischen Theorien und Praktiken, um deren rätselhafte Bilderschrift des Lebens und die Art, wie einst dieser bildliche Zauber erlebt und verstanden wurde, sich heute die Geschichte der Naturwissenschaften bemüht. Mit Recht nennt man das alcbemistische Schrifttum starr und formelhaft. Wer es nicht jahrelang kennt, vermag es nicht zu lesen, denn er vermag diese Hieroglyphen der chemischbiologischen Ausdrucksweise nicht zu entziffern: ihre Sinnbilder sind verworren, dunkel und schwer, die Terminologie schwankt zwischen antiker Nomenklatur und gleichnishafter .Beziehung, und dabei werden alle diese hoffnungslosen, komplizierten und nüchternen Praktiken mit großen Sinnbildern überhöht. Die alchemistischen Lehren und der ihnen zugrunde liegende Dogmatismus geben.sich nicht plastisch klar wie die klassische Philosophie, sondern umschrieben und in Bildern und Allegorien als der notwendige Ausdruck eines Wirklichkeitsverhältnisses und Symbolismus des Gefühls.

Die praktische Unterlage der alchemistischen Spekulation ist eine uralte Legierungs-technik (Kupfer und Zinn) und überhaupt die aus asiatischen und ägyptischen Uberlieferungen und Arbeitserfahrungen stammende Erzeugung goldähnlicher Produkte, die schon früh ihrer Färbung („Tingierung“) wegen für Gold gehalten wurden.

Der Stein der Weisen sollte den Verwandlungsprozeß erzeugen und die „Färbung“ erzielen. Färben galt als Erzeugen, Neumachen, Existenz geben! Der Stein der Weisen, dessen komplizierte Herstellung aus der prima materia (auf die vorerst jeder alchemistische Prozeß zurückgeführt werden muß) das „große Werk“ ist, galt als Zusatz im Sinne eines Fermentes oder Enzymes. Er sollte chemisch den Prozeß beschleunigen und künstlich aktive Vertreter der Elemente herstellen. Die Läuterung und richige Färbung — der Stein der Weisen und die „Tinktur“ sind dasselbe — führen zu Silber und Gold. Das sogenannte „Geheimnis“' dieser vielfach abergläubischen Technik waren das Darstellungsverfahren und bestimmte Lehren von den Einflüssen von Schwefel, Arsen und Quecksilber, ferner von der Herstellung der weißen arsenigen Säure aus dem „roten Arsen“ (Realgar, AS2S2) und dem gelben Arsen (Auri-pigment AssSs), die Verwendung des Antimon (Antimonsulfid. Antimonglanz, Spieß-

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glänz), Hessen Name bekanntlich vom griechischen ävsjxwviov = AusgeblüHtes, Blüte abgeleitet wird und schon im frühen alche-mistischen Schrifttum in bunter Vielfalt zur Sprache kommt (zum Beispiel die farbigen Metallsalze als SvvK7u.af(X und andere), was zur alten Schreibweise Anthimonium Anlaß bot, historisch auch wirklich ihre Berechtigung hat. Antimon nannte man auch die „Blüte des reinen Goldes“, von dem die byzantinische Kaiserin Athenais (Eudokia) in den Fragmenten ihres Gedichtes „Cyprianus und Justina“ berichtet.

Technisch bleibt die Tatsache bestehen, daß das alchemistische Gold einer Art von bestimmten Legierungen angehörte. Die es anfertigten, waren im Glauben, daß gewisse Agenzien die Rolle von Fermenten spielten,

um Gold und Silber zu vermehren. Zum Schlüsse nahm man an, daß es sich nicht mehr um Nachahmung des Goldes handle, sondern um seine wirkliche Darstellung, die „mit der Beihilfe übernatürlicher Mächte“ (die man durch magische Formeln anrief) möglich sei. Da mengt sich gröbster Aberglaube mit dem beglückenden Erstaunen des ungebändigten Wissenstriebes. Der Stein der Weisen, das Symbol alten Alchemistenglaubens und alchemistischer Metaphysik, ist eigentlich keih Stein, sondern eine Tinktur, im Anfange ein Zauberkraut (ßoTiv/))Wir begegnen immer wieder der Vorstellung vom Erfüllen der Natur im Dienste ihrer Planmäßigkeit. In diesem Sinne wurde der Phantasiestein „Stein der Weisen“ ein technisches Hilfsmittel in der Tradition der Färber und Goldschmiede (Goldimitation, Vergoldung, Färbung und Imprägnierung von künstlichen Steinen, Herstellung farbiger Gläser, künstliche Edelsteine, Veränderung von Farben metallischer Oberflächen, Goldrubine und andere). Alle diese Färbereiverfahren, Goldschmiedtechniken, metallurgischen Operationen, Legierungstechniken (Bronze, das Weißkupfer, das goldfarbige Kupfer) Transmutationsversuche, Gewinnung von Quecksilber, Blei, Sublimation von Schwefel, Herstellung von Bleiweiß durch Blei und Essig, von Grünspan aus Kupfer und Essig, die des Ofenbruchs, der unreinen Oxyde des Bleies und des Zinkes, die der Kupferasche (aes ustum), der Glätte, des Auripigmentes, des künstlichen Zinnobers und vieles andere reichen im allgemeinen fast alle ins spätere Altertum zurück, vor allem aber auch die alchemistische Uberzeugung, daß gewisse Zusätze die Rolle von Fermenten spielen, um Gold und Silber zu vermehren.

Alles Alchemistische ist immer irgendwie mit dem Glauben an den „philosophischen Stein“ — er hat im Laufe der Jahrhunderte viele Namen und birgt einen reichen Mythos — verbunden und trägt die wech-

selnden, bunten Farben des Lebens. Er entstammt dem Reiche bildhafter Symbole, psychischer Wesensheiten und substantiier Formen, der noch Begriffe wie Lebensseele und Lebenskraft zugehörten, in ihm ist noch etwas von der Kraft, die tätig ist, das Leben der Menschen zu formen. Der Stein der Weisen ist nicht nur das metallische (das Kupfer weißende) Arsen, er ist auch das Streupulver (Xerion), das krankes und bleiches Blut gesund macht und rötet, Balsam auf alle Wunden legt, die Kraft, die Wunden schließt, und ist darum ein „heiliger Stein“, der von aller Krankheit frei ist und nicht verwittern kann, er ist wie edelstes Gold. Er ist das Ausgangsmaterial für die Medizin, das Endprodukt des alchemistischen Werkes (Magisterium). Er vermag unedle und edle Metalle in Gold zu verwandeln, wenn er in die schmelzenden Metalle geworfen („projiziert“) wird. Alchemie ist darum auch die Kunst der „Projektion“. In Wolframs Parzival heißt der Gral lapsit exillis (lapsis elixir). Auf smaragdgrünem, golddurchwirktem Seidenstoff (Wolfram sagt achfnardi) liegt der Gral. Grün ist in der Farbensymbolik der Astrologen und Alchemisten die Farbe des Jupiter; also der Gral ist als Stein der Weisen ein Idol des Jupiter. Auch in der Geschichte der liturgischen Verwendung der Farbe Grün gibt es manche Beziehungen zu diesem außerkirchlichen Gedankenkreis.

Übrigens hatte die Kirche für Edelsteine eine eigene Weiheformel, die gjfgen abergläubische Vorstellungen, Mißbräuche und Zauberformeln schützen sollte. Wir begegnen ihr schon in den Schriften des Dominikaners Thomas von Cantimpre (Cantim-pratensis, Brabantinus) 1204 bis 1280.

Es ht sicher, daß der Stein 2er “Weisen

irgendwie mit dem Goldrubin zusammenhängt, denn alle alchemistischen Rezept aus der klassischen Zeit ihrer Technik veiv wenden bei der Darstellung dieses Phantasiesteines goldähnliche Substanzen oder Gold. Der Stein der Weisen ist der Zauberstein, der hieratische schwarze Stein, der aber rot erglühen kann, er ist der „große Pan“, „Sonne“, „Gold“, „Mithras“, das „große mithrische Mysterium“ — der heilige Gral, zu dem man in den geheimnisvollen Wandlungen, durch Kräfte, die uns umgestalten und erhalten, aufsteigt, auf Stufen von Reife zu Reife, vom Leben zum Enden und vom Enden zum Beginn. Das sind die Grade (gradatim) des Gral und die Stufen der alchimistischen Metamorphose.

Dem Alchemisten kam es darauf an, Bilder (das heißt den Mythos) zu finden für die Verwandlungen des Stoffes. An der Hand primärer Quellen und deren Kritik werde ich demnächst in einem Buche das erstemal diesen weitschichtigen und interessanten Stoff in allen seinen naturwissenschaftlichen, geistesgeschichtlichen, technischen und medizinischen Verzweigungen darzustellen versuchen, einen wertvollen Stoff, der bis jetzt nicht immer genügend gewürdigt und ausgeschöpft worden ist, ein schicksalsreichcr Stoff, der an seinem eigenen Mythos bildete und doch um die Ordnung und die Gesetzlichkeit der Wissenschaft rang. Auch die Forscher unter den Alchemisten haben an das Leben die allerletzten Fragen zu stellen versucht, sie wollten alles erkennen und zuletzt, was am schwersten zu erkennen ist: sich selbst. Das ist ihre Tragik, die ihrem verzweifelten Denken Form und Prägung gibt.

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