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Wirtschaft: Teil der Kultur

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In erstaunlich rascher Folge legt Anton Burghardt nach seiner „Allgemeinen Soziologie”, die außergewöhnlich starke Beachtung gefunden hat, eine „Allgemeine Wirtschaftsso- zioiogie” vor. Sicher wird sie nicht weniger gefragt sein als die erstere. Das Buch bietet eine Fülle von Information über einen Lebensbereich, von dem heute mehr denn ja gilt, „Wirtschaft ist Schicksal”, der abęr als Gesamtprozeß beim größten Teil der Menschen nur insoweit Beachtung findet, als das unmittelbare Eigeninteresse berührt wird, vor allem hinsichtlich der Einkommens- entwicklung. Vielen Intellektuellen gilt die „Wirtschaft” als etwas Unterkulturelles, daher legen sie, wenn sie zum Wirtschaftsteil ihrer Tageszeitung kommen, diese weg. Daß die Sozialwirtschaft selbst ein Teil der Kultur sein soll, mutet viele befremdend an, so wenn Werner Sombart die Wirtschaft „die Kulturfunktion der Unterhaltungsfürsorge” nennt oder der amerikanische Kulturanthropologe Clyde Kluckhon einen bescheidenen Kochtopf ebenso als ein

Kulturprodukt ansieht wie eine Beethovensonate; ohne den ersteren könnte es die letztere nicht geben. Zur Kultur gehört die Volkswirtschaft ganz besonders,, weil in dieser außer der Rechtsordnung die am stärksten die Menschen gesellschaftlich verbindenden Kräfte, aber auch gerade mit der Kooperation die stärksten Interessengegensätze bezüglich der Verteilung ihres Ertrages verknüpft sind. Daher stellen die humanen Formen der Kooperation und die humanen Formen der Austragung der Interessengegensätze die stärksten Anforderungen an die Menschlichkeit jener Haltungen, die im Grunde das Wesen aller Kultur ausmachen. Immer ist in dieser Art das Kulturelle, das Soziale und das Menschliche der tragende Sinngehalt des Burghardtschen Denkens.

Der Gegenstand der Wirtschaftssoziologie wird von Burghardt eingegrenzt auf die kausalen Beziehungen zwischen ökonomischen und nicht- ökonomischen Gegebenheiten. Vor allem gilt ihr Interesse der das wirtschaftliche Verhalten bestimmenden Motivationsstruktur. Nicht nur werden auf diese Weise die von der Nationalökonomie erarbeiteten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten in ihrem engerem Lebensbezug erkennbar, es wird den mit den aktuellen Problemen der Volkswirtschaft befaßten Politikern und Verbandsfunktionären ein Durchblick durch all das geboten, was sie bei ihren Entscheidungen zu überlegen haben. Ganz besonders wird das Buch eine erwünschte Hilfe für den Studenten r Soziologie sein.

Behandelt werden in einem ersten längeren Teil die Grundlagen der Wirtschaftssoziologie im allgemeinen. Besonders beachtlich ist der Abschnitt über das Rationalitätstheorem. Gegenüber der immer wiederholten Verteufelung des homo oeco- nomicus wird dieser Begriff als notwendige Prämisse der ökonomischen Theorie erwiesen. Auf jeder Seite fallen Beobachtungen wie diese: „Versuche der Anbieter, die gestiegenen Produktionsanlagen optimal auszunützen, sind eine der Ursachen einer säkularen Konsumexpansion, der eine Dynamisierung der Bedürfnisse vorangegamgen ist” — oder „als Archetyp menschlichen Denkens und Verhaltens haben Interessen nicht allein eine ökonomisch-materielle Natur, sondern enthalten wesentlicher und mit dem relativen Einkommensanstieg gewichtiger werdende nichtmaterielle, etwa metaökonomische Komponenten, wie jene der .sinnvollen1 Freizeitgestaltung”. Der zweite Hauptteil behandelt den ökonomischen Prozeß Produktion-Tausch-Konsum). Behandelt werden Produktionsmittel (Eigentum als Recht ist „ein genuin soziales Phänomen”), die Arbeit („sie ist logisch und ihrer Gewichtigkeit nach dem Kaptel vorgeordnet”).

Hervorgehoben seien besonders die Abschnitte zur Soziologie der Einkommensverteilung, des Marktes, des Konsums. Der Teil über Wesen und Formen der Wirtschaftsgebilde handelt über genossenschaftliche Gebilde, Untemehmenskonzen- tration, multinationale Unternehmungen, Bürokratisierung der Wirtschaft. Mit Spannung Wendet man sich dem Schlußteil über das Problem der Wirtschaftsideologie zu. Eine allgemein angenommene Definition der Ideologie gibt es nicht, daher beschränkt sich Burghardt auf einen Katalog von Merkmalen zu ih rer Charakterisierung. Hervorgehoben wird der mangelhafte Wirklichkeitsbezug bei Beurteilung von Gegebenheiten oder das falsche Bewußtsein bei an Normen orientierten Ideologien oder die Verdeckung von Interessen bei Ideologien gesellschaftlicher Gruppen. Wirtschaftsideologien geben sich als Sachurteile, sind aber durch einen Werthorizont orientierte Aussagen, zum Unterschied von einer sachlich-wertneutralen deskriptiv-empirisch begründeten Aussage. Ideologiekritisch wird über die Ideologiekritik bemerkt, daß sie „in ihrer ökonomischen Ausformung oft selbst jene relative Position einnimmt, die sie an anderen zum Gegenstand der Kritik macht.” Der Kern von Wirtschaftsideologien ist die Auseinandersetzung einer Gruppe mit ihrer soziologischen Situation in der Absicht, „ihren Interessen das Dekorum einer Deckung durch .absolut gültige” Werte zu sichern”.

Wieder findet man alle Vorzüge Burghardtscher Darstellung. Dazu gehören die pädagogisch-didaktische Gedankenführung, die sofort das Interesse auch des zunächst nicht mit den einschlägigen Sozialwissenschaften Vertrauten zu wecken versteht. Damit verbindet sich eine Kraft der Synthese, die in der Vielfalt der Problematik den Gesamtzusammenhang sehen läßt. Die Prägnanz und Präzision der Formulierung ist ein besonderer Vorzug, dadurch wird ein außerordentlicher Gedanken- und Stoffreichtum ermöglicht, ohne eine Ermüdung des Lesers zur Folge zu haben. Dieser Reichtum würde durch ein noch ausführlicheres Sachregister leichter zugänglich gemacht. Wieder überrascht die erstaunliche Fülle verarbeiteter Literatur.

ALLGEMEINE WIRTSCHAFTSSOZIOLOGIE. Eine Einführung. Von Anton Burghardt. Verlag Dokumentation, Pullach bei München, Uni-Ta- schenbücher, 231 Seiten, Preis

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