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Auf gerechte Wirtschaft drängen

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Kein anderes Thema beschäftigte den österreichischen Sozialkatholizismus in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts so leidenschaftlich wie die Beurteilung des Kapitalismus. Zwei Fronten standen sich gegenüber: Die eine wollte ihn „umbiegen und zurechtbiegen", die andere lehnte ihn ab und vertrat das Gegenkonzept einer „christlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung". Beide Richtungen argumentierten aus der katholischen Sozial-tradition, beide verlangten ein klärendes Wort der Bischöfe Österreichs.

In einer umfassenden Darstellung geht der Verfasser den gesellschaftsphilosophischen und gesellschaftspolitischen Hintergründen dieses Konfliktes nach und zeigt damit die äußerst komplexe Situation auf, vor der die Bischöfe standen, als sie für 1925 den ersten Sozialhirtenbrief planten. Sie war geprägt sowohl vom „wirtschaftlichen Liberalismus und mamonistischen Kapitalismus" als auch vom „Sozialismus, Kommunismus und Bolschewismus".

Mehrere Entwürfe wurden den Bischöfen vorgelegt. In einem mühsamen Archivstudium entdeckte der Verfasser Namen und Texte, die bisher zum großen Teil unbekannt waren: die Materialsammlung von Johannes Messner, den ersten Entwurf von Bischof Waitz, den Gegenentwurf von Ferdinand Frodl, die Stellungnahme von Iganz Seipel.

Den endgültigen Text der „Lehren und Weisungen der österreichischen Bischöfe über soziale Fragen der Gegenwart" von 1925 beurteilt der Verfasser folgendermaßen: Auf der Ebene der ideologischen Auseinandersetzungen mit dem Materialismus unc Liberalismus war das Hirtenwort der Bischöfe durchaus radikal. Ebenso eindeutig war die Kritik an den Auswirkungen des liberalistischen Kapitalismus. Trotzdem kam es zu keiner grundsätzlichen Verurteilung einesj Wirtschaftssystems, das auf der Trennung von Kapital und Arbeit aufgebaut war. Damit wollten die Bischöfe allerdings nicht sagen, daß dieses Wirtschaftssystem das einzig mögliche sei. Das Hirtenwort ließ keinen Zweifel darüber bestehen, daß die Bischöfe als Fernziel eine „christliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" vor Augen hatten, in der alle Gesellschaftsglieder in harmonischer Eintracht die gemeinsamen Ziele anstrebten.

Die Bischöfe mußten selber gemerkt haben, daß sie mit ihrer Stellungnahme die gewünschte Einheitslinie im Sozialkatholizismus nicht erstellen konnten. Die Auseinandersetzungen gingen weiter und verschärften sich. Dem Gesamturteil des Verfassers dieser wertvollen Studie ist voll zuzustimmen, wenn er sagt: Die österreichischen Bischöfe wollten in einer kritischen Zeit des Überganges den innerkatholischen Dialog nicht abbre chen. Zu viele Fragen waren offen und die Umrisse der kommenden Gesellschaftsordnung noch äußerst unscharf. Eines aber wollten sie sehr bewußt: Sich als Partner in der Suche nach einer menschengerechten Wirtschaft und Gesellschaft einzulassen.

DER KAPITALISMUS ZWISCHEN FREISPRUCH UND VERDAMMUNG

Der österreichische Sozialhirtenbrief von 192S im Spannungsfeld von Realität und Utopie. Von Markus Schlag-nitweit' Geyer-Edition, Wien-Salzburg 1995, öS ISO,-

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