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Deutschlands Kirchen erheben ihre Stimmen

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Während inmitten der Terrorszene, von der die Bundesrepublik Deutschland durchschüttelt wird, alle Beteuerungen der Politik im Krisenstab von der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ zu hohlen Phrasen zu gerinnen drohen, zeigen beide großen Kirchen Flaggen gegen den Terror, deren weitgehende Übereinstimmung dem Po- litpragmatismus eines voraus hat: Glaubwürdigkeit, über den Tag hinaus. In beispielhafter Einmütigkeit haben die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) Stellung zum blutigen Irrsinn bezogen. Jede für sich verdient schon deshalb Bewunderung, weil sie eben nicht aus gemeinsamen Sprachregelungs-Kompromissen geboren sind und dennoch - bei allen konfessionellen Aktenunterschieden - in hohem Maße Gleichklang erzielen.

Nicht nur in der scharfen Verurteilung der ideologisch maskierten Gewaltkriminalität geht die von der Deutschen Bischofskonferenz nach ihrer Herbstversammlung veröffentlichte Erklärung zum Terrorismus mit der Stellungnahme des Rates der

Evangelischen Kirche in Deutschland vom 16. September konform; auch die selbstkritische Gewissenserforschung beider Kirchen ließ nicht auf sich warten: Heißt es im Wort der katholischen Bischöfe, man müsse sich fragen, „ob wir rechtzeitig und ausreichend auf die geistigen Herausforderungen reagiert haben“, so bekennt sich die EKD ausdrücklich zu ihrer „Mithaftung am Geschehen dieser Wochen“. Weiter heißt es wörtlich: „Wir sind dem ein-

seitig konfliktbetonten Verhalten in unserer Mitte nicht deutlich genug entgegengetreten und haben Gebot und Verheißung Gottes nicht klar genug verkündigt.“

Die gemeinsame Ablehnung der Todesstrafe wird durch die Hinweise deutlich, das geltende Recht reiche aus, wofern man eben, so die katholischen Bischöfe, „alle in der Verfassung und in unserer rechtsstaatlichen Ordnung gegebenen Möglichkeiten ausschöpft“, bevor man überhaupt an eine Verfassungsänderung für die Einführung der Todesstrafe denke. Bei der EKD heißt es, Gesetzgebung und Polizeigewalt trügen jenen Grenzen der Freiheit, die das Fundament eben dieser Freiheit bildeten, angemessen Rechnung. Aber noch um einen Schritt rigoroser wird hier die evangelische Stellungnahme mit ihrem geradezu dogmatischen Satz: „Nur ein starker Staat kann ein liberaler Staat sein.“ Unmittelbar daran indes knüpft sich die - auch von der katholischen Seite artikulierte - These, stark sei der Staat in erster Linie durch die gemeinsamen Überzeugungen und Wertvorstellungen seiner Bürger.

Die Frage nach den geistigen Vätern der Anschläge auf Frieden, Freiheit und Menschenwürde dürfe nicht länger verschleiert werden, heißt es weiter in der Erklärung der Bischöfe. Die utopische Ideologie von der alles umfassenden Machbarkeit dieser Welt wird angesprochen, womit Hand in Hand eine „zynische Herabsetzung der Grundwerte“ herangewachsen sei,» die weder vor dem Lebensrecht der Ungeborenen, noch vor Ehe und Familie Halt gemacht habe. Die katholischen Bischöfe sprechen unverhüllt aus, was ihnen mit Sicherheit versteckte und offene Angriffe einer ganzen Riege allzeit sich mißverstanden fühlender Intellektueller eintragen wird. Von manchen Kathedern deutscher Hochschulen her würden „seit Jahren Theorien der Verweigerung und der Gewalt gegen die fortgeschrittene Industriegesellschaft gelehrt und empfohlen“. Liege also der Gedanke fern, fragt die katholische Stellungnahme, „daß die Terroristen ihr ideologisches Rüstzeug hier erhielten und falsche und utopische Theorien in die Tat umsetzen wollten?“ Hätten nicht auch „bestimmte Konflikt-Theorien“ nach ihrem Eindringen in den Bildungsbereich Junge Menschen geistig verfuhrt“?

Das hier von den Bischöfen bewußt aufgegriffene Vokabular, darüber kann kein Zweifel bestehen, stammt aus links-„p regressiven“ Regionen. Die von den Bischöfen in ihrer Stellungnahme verurteilten Versuche, selbst im Schulunterricht die freiheitliche Verfassung der Bundesrepublik lächerlich zu machen, ist kaum auf „konservative“ Schul-Rahmenrichtli- nien beziehbar. Nicht selten, so heißt es hier, „wurde der Begriff von Recht, Ordnung und Institutionen zum Inbegriff des Reaktionären und Vorgestrigen abgestempelt.“

Klare Worte, die bei aller Düsterkeit des Anlasses etwas Erfrischendes, Befreiendes atmen: Der historische Vorwurf gegen die Kirche, sie arran-, giere sich stets mit der Macht - in der Bundesrepublik trägt Macht fraglos nach wie vor ein linksliberales Gewand, freilich mehr links als liberal -, dieser Vorwurf erweist sich einmal mehr als unhaltbar. Die Katholiken treten aus der Passivität, werden kämpferisch. Ihre Bischöfe rufen wohl zu Besonnenheit und Gebet in schweren Tagen, scheuen aber nicht mehr die notwendige, offene Auseinandersetzung mit lebensfeindlichen, weil lebensfremden Polit-Illusionisten.

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