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Pius XII. zum Sündenbock ernannt

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Es scheint mir deshalb etwas anderes zu sein, die Koexistenz mit den Staaten des Ostblocks zu üben, weil sie bis jetzt wenigstens im europäischen Raum Frieden gewährte, und etwas anderes, die Kirche zur Kollaboration mit dem Kommunismus sowjetischer Prägung zu bewegen. Gerade die Linkskatholiken werfen dem Kardinal-Staatssekretär Pacelli und späterem Papst Pius XII. vor, daß er mit dem Nationalsozialismus, der damals noch keine Kirchenverfolgung und keinen Religionskampf entfesselt hatte, ein Konkordat abgeschlossen habe. Wir wissen heute, was Pacelli vom Konkordat wirklich dachte, nämlich, daß es von den Nationalsozialisten niemals gehalten werden würde, daß es aber wenigstens eine völkerrechtliche Handhabe biete, gegen antireligiöse Maßnahmen zu protestieren. In einem Unisono sondergleichen ernannten die Linkskatholiken Pius XII. zum Sündenbock und zum Stalin der katholischen Kirche. Man griff ihn auch dort besonders hart an, wo sich die ganze Welt aus Scham verkriechen müßte, daß er für die Juden während der nationalsozialistischen Ära zu wenig getan habe, obwohl die katholische Kirche unter Pius’ XII. Führung immerhin mehr Juden vor dem Tod rettete als alle Länder und Institutionen zusammen. Es gehört jedoch zur Kampftaktik der Linkskatholiken, Sündenböcke zu fixieren und diese dann mit sektiererischem Haß zu verfolgen.

Die Linkskatholiken lassen sich von drei Grundsätzen in ihrem Streben leiten, eine Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und den kommunistischen Staaten herbeizuführen. (Ich halte mich hier im wesentlichen an Daims Formulierungen.)

Sie glauben an eine lineare Entwicklung der Weltgeschichte, wie dies auch der historische Materialismus tut. Am Ende steht die sozialistische Gesellschaftsordnung.

Der Atheismus ist dem Marxismus nicht wesensnotwendig. Der Kirchenhaß muß als marxistische Antwort auf die Haltung der Kirche im 19." Jahrhundert, die auf seifen der Ausbeuter stand, angesehen werden. Die Kirche überläßt es den Gläubigen, ihr politisches und wirtschaftliches System zu wählen, die Kommunisten aber überlassen es ihren Anhängern, für sozial-ethische Maximen eine theistische oder atheistische Motivierung zu wählen.

Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist der völlige Wandel der katholischen Kirche. Der Linkskatholik fordert die Demokratisierung der Kirche und schränkt ihre Autorität funktionell auf den dogmatischen Bereich ein. Das Recht der hierarchischen Autoritäten, in Politik, Wissenschaft und Kunst Normen zu geben, lehnt der Linkskatholik ab. Für ihn weist die derzeitige hierarchische Struktur der Kirche „Elemente des feudalen, ja des Sklavenhaltersystems“ aus. Der Linkskatho- lik vertritt die Eigenständigkeit der Laien in der Kirche und bekämpft leidenschaftlich den Klerikalismus, der „die Expansion des Klerus in gesellschaftliche und kulturelle Bereiche“ darstellt. Der Linkskatholik hat engen Kontakt mit den progressiven, die Gesellschaft umgestaltenden Kräften. Er kann in politischen, sozialen und ökonomischen Fragen nicht abseits stehen und tritt deshalb auch für die Aufhebung des Privateigentums ein. Schließlich hält sich der Linkskatholik nicht nur für einen besseren Christen, sondern zusätzlich auch noch für einen Märtyrer, denn er kommt durch seine Parteinahme für Menschen außerhalb des Christentums „in eine ähnlich fragwürdige Position wie Christus zu Seiner Zeit“.

Der Friedenspriester ad 1.: Der Glaube, daß die kommunistische Gesellschaftsordnung unvermeidlich sei, hält einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand. Ja, er entspricht nicht einmal dem Fortschrittsdenken. Alle bisher durchgeführten kommunistischen Experimente in Industriestaaten haben praktisch einen ökonomischen und sozialen Rückschritt bedeutet. Das eklatanteste Beispiel dafür bietet die Tschechoslowakei vor und nach dem zweiten Weltkrieg. Die Einführung des kommunistischen Systems in den hochindustrialisierten Staaten des Westens würde einen Rückschritt in ihrer Entwicklung um mindestens zwei Generationen darstellen.

Dieser Glaube der Linkskatholiken an die Unvermeidbarkeit des kommunistischen Systems erinnert sehr an den Glauben der „Arbeitsgemeinschaft für den religiösen Frieden“, die im Mai 1938 gegründet worden war. Es handelt sich hier um Gruppen von katholischen Geistlichen und Laien, die glaubten, durch die Anpassung des Katholizismus an die nationalsozialistische Statsauf- fassung und durch aktive Mitarbeit eine günstige Betätigungsmöglichkeit für die Kirche zu schaffen. Die Kollaboration wurde als die einzige Verhaltensform hingestellt, mit welcher der Sturm der Zeit überstanden werden könne.

Eine ähnliche Art von Friedenspriestern entstand auch in den sowjetischen Satellitenstaaten, und ihr Verhalten ist den meisten Gläubigen in diesen Staaten ein Ärgernis. Was die Kommunisten selbst von solchen Friedenspriestern halten, zeigt das Schicksal des berühmtesten dieser Friedenspriester, des ehemaligen tschechischen Gesundheitsministers Josef Plojhar. Im Zuge des Prager Frühlings wurde er abgesetzt, weil ihn die Christen und die Kommunisten nicht wollten. Wer seinen Glauben so ummodelt, daß er ins marxistische System paßt, der ist auch für den Marxisten im Grunde nichts wert und dient ihm nur als Handlanger.

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