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Die unbewegliche „Bewegung“

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Die spanischen Cortes, das Ständeparlament Madrids, hat in seiner letzten Plenarsitzung ein durch stürmische Debatten gehetztes Gesetz verabschiedet, über dessen Nützlichkeit und Zukunftsaussichten die verschiedensten Meinungen bestehen. Das „Gesetz über die Bewegung und ihren Nationalrat“ — so heißt das jüngste Glied in der Gesetzeskette, die mit der Annahme der spanischen Verfassung durch Volksentscheid im Dezember vorigen Jahres begonnen wurde — ist die legale Verankerung der vor und im spanischen Bürgerkrieg geborenen falangistischen und national-syndikalistischen Ideen auf verbreiteter und moderierter Basis. Eine Modernisierung von Grundsätzen also, die von einer Generation aufgestellt wurden, die heute nur noch ein Viertel der Nation ausmacht.

Ein Kilo Änderungsvorschläge

Diese Grundsätze besagen in der Hauptsache, daß Spanien ein katholischer Staat und eine Monarchie — letzteres wurde 1947 festgesetzt — und daß der repräsentative Charakter der politischen Ordnung das Fundament der spanischen öffentlichen Institutionen ist. Mit anderen Worten: Spanien ist eine katholische Einheitsparteimonarchie. Die Einheitspartei heißt „Nationalbewegung“ und streitet ihren Parteiencharakter ab, da in Spanien nach dem Bürgerkrieg die Parteien abgeschafft wurden. Es ist eine Monarchie ohne Monarchen und selbstverständlich ohne monarchistische Partei. Es ist sinnlos, sich über scheinbar paradoxe Grundsätze den Kopf zu zerbrechen. Eine stattliche Anzahl von Parlamentsabgeordneten hat in nicht weniger als 181 Änderungsvorschlägen versucht, eine Klärung und Profilierung der Begriffe zu erreichen. Das Resultat waren 500 Blatt Papier, gebunden in einem telefönbuchähnlichen Band von einem Kilo Gewicht, endlose, erhitzte, ermüdende und schließlich, durch die Abwesenheit vieler Ausschußmitglieder gekennzeichnete Diskussionen — und die fast unveränderte Annahme des ursprünglichen Gesetzestextes.

„Die Bewegung ist allen offen!“

Diese „Nationaltoewegung“ nun ist, nach den in der Provinzhauptstadt Lerida von ihrem obersten Chef, Minister Jose Solis Ruiz, geäußerten Worten, allen offen. „Wir waren nie Exklusivisten!“ bekräftigte er. Tatsächlich sind diese Grundsätze so vage gehalten, daß selbst einmal der spanische Sozialistenführer Professor Tierno Galvan keine Schwierigkeiten darin gesehen hatte, sie mit seinem politischen Credo unter einen Hut zu bringen. Innerhalb dieser Bewegung sollen denn auch die „kontrastierenden Ansichten“ einen besonders wichtigen Platz einnehmen.

Doch gerade in dieser breiten Meinungsbasis kann nach Ansicht vieler spanischen Politiker eine Gefahr für die „Nationalbewegung“ bestehen. Sie setzt nämlich den Verzicht auf jene geistigen Bewegungen voraus, die die Staatsgrundlagen fast des ganzen restlichen Europa von heute bEden. Auch ist zu bedenken, daß die Anziehungskraft des Movi-miento, der Staatsbewegung also, für die neuen Generationen und besonders für Studenten', Jungakademiker, den jungen Klerus und die Arbeiter gering, die breite Masse in politische Gleichgültigkeit eingelullt ist und die orthodoxen Formen der „Bewegung“ nur noch wenige ansprechen.

Neuer Dialog?

Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß auf dieser verbreiterten Grundlage, die von ihren Gegnern abschätzig als „neue Dekoration eines alten Gebäudes“ betitelt wird, trotz der Ausschaltung des politischen Pluralismus ein Dialog unter ideologisch verschieden Gefärbten durchführbar ist Ein gemäßigter und selbstverständlich nicht zu progressistischer Dialog, der den vom Regime„eingerichteten derzeitigen politischen Frieden in kleiner Weise beeinträchtigen darf. Die oberste Körperschaft dieser „Nationalbewegung“ läßt allerdings diese leichteZugänglichkeit vermissen. Die „Nationalräte“ werden nicht direkt, also nicht auf Volksbasis gewählt, sondern von den Lokal- und Provdnzialräten, damit wird Sorge dafür getragen, daß die Führungskräfte sorgfältig gesiebt werden und sich keine politischen Fremdkörper in sie infiltrieren können.

Mag man auch — wie seine Kritiker es tun — die Nützlichkeit des neuen Gesetzes anzweifeln und sie als begrenzt hinstellen oder ihm gar seine Zukunftsaussichten absprechen, ihm also ein Überdauern des Regimes verneinen, so sollte man vor der Aufstellung so düsterer Prognosen doch bedenken, daß Spanien keineswegs für eine Demokratie im westlichen Sinn, will heißen für einen Mehrparteienstaat, bereit ist. Der Grund dafür ist allerdings dem

Großteil des spanischen Volkes kongenial: sein Charakter bedarf dies Patemalismus.

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