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GERD BUCERIUS/ EIN DEUTSCHER IM KREUZFEUER

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„Brennt in der Hölle wirklich . ein Feuer?“ Unter diesem Titel schrieb ein junger Redakteur in schnoddriger, angreiferischer Sprache einen Artikel in der deutschen Illustrierten „Stern“, Auflage 1,6 Millionen.

Dieser in vieler Weise anfechtbare Aufsatz hat Feuer in eine lange schwelende innere Auseinandersetzung in Deutschland geworfen und hat dem Verleger des „Stern“, Dr. Gerd Bucerius, sein Bundestagsmandat in der CDU gekostet. Gerd Bucerius, geboren 1906, seif 1945 CDU-Po//fiker, Verleger des „Stern“ und der

„Zeit“, hat in den letzten Jahren mehrfach ah Einzelgänger in der CDU und in der deutschen Öffentlichkeit Aufsehen erregt. Er selbst sieht seinen Fall so: „Seit 1956 geriet ich mehrfach in Spannungen mit dem bis 1959 von mir sehr verehrten Bundeskanzler, dessen Leistung ich auch heute noch zu den größten geschichtlichen Leistungen nicht nur der Bundesrepublik, sondern der deutschen politischen Geschichte überhaupt rechne.“ So sprach Bucerius in einer Fernsehsendung über seinen „Fall“. In einem großen Aufsatz in der „Zeit“, der den Titel trügt „Warum ich aus der CDU austrat“, führte er des weiteren aus:

„Starke Spannungen ergaben sich, als ich im Sommer 1958 vor der Bundespräsidentenwahl öffentlich Einspruch erhob gegen die Gleichgültigkeit, mit der Konrad Adenauer die höchsten Staatsämter behandelte.

Daß ich im Jänner 1960 in einem Artikel in der ,Zeit' die Abberufung Oberländers forderte, hat den Kanzler kaum, die CDU-Fraktion dagegen sehr erbittert. Ich glaube, daß Oberländer ohne meinen Vorstoß noch heute Kabinettsminister wäre, was im ]ahr des Eichmann-Prozesses und der wachsenden Kritik an Deutschland in aller Welt zweifellos schädlich gewesen wäre.“

Dr. Bucerius schildert dann seine

weiteren Auseinandersetzungen mit dem Kanzler und seiner Partei und meint: „Anders als beispielsweise in England (wo gerade jetzt ein konservativer Abgeordneter die Abberufung MacMillans fordern konnte, ohne dafür der allgemeinen Verketzerung anheimzufallen) wird in Deutschland die .Treue zur Partei' — deren Macht man zu mehren hat — höher geschätzt als die Loyalität gegenüber dem Gemeinwohl, unter dem man sich in Deutschland wenig vorstellen kann.“

Bucerius kam nun dem ihm von der CDU drohenden Ausschluß zuvor, indem er selbst aus der Partei austrat, zu deren Mitbegründern in Hamburg er gehört.

Der Landesverband Hamburg hat diesen seinen Austritt öffentlich bedauert.

Was geht uns in Österreich der Fall Bucerius an? Wir meinen, sehr viel. Wir kennen Herrn Bucerius nicht, haben keine Kontakte mit ihm und mißbilligen — übrigens mit ihm - die Art und Weise des Höllenfeuer-Aufsatzes im „Stern“. Einige Überlegungen der Gräfin Marion Dönnhoff, der stellvertretenden Chefredakteurin der „Zeit“, sollten uns jedoch zu denken geben.

Sie schreibt: „Politik ist bei uns eine Sache des Glaubens, sie wird daher nach theologischen Kategorien beurteilt. Und eben darum werden die Häretiker ausgemerzt.

Nach den Wahlen am 17. September war Gerd Bucerius .der einzige CDU-Abgeordnete, der in der Fraktionsabstimmung offen gegen die Wiederwahl Konrad Adenauers stimmte. Alle anderen, die noch am Vorabend die gleiche Überzeugung und den gleichen Entschluß zum Ausdruck gebracht hatten, waren umgefallen. Nun, da die CDU diesen .Sonderling losgeworden ist, ist endlich Einstimmigkeit gewährleistet. Wenn die Sorgen dieser Tage vergessen sind, wird darum freudige Genugtuung bei der Christlich-Demokratischen Union einziehen, denn über einen Abweichler, der ausscheidet, herrscht dort mehr Freude als über zehn selbständig Denkende, die dazukämen. Für Staat und Bürger freilich ist wenig Anlaß zum Jubel gegeben. Wieder einmal ist deutlich geworden, daß das Parlament längst nicht mehr der Ort ist, an dem unabhängige Leute einen Standpunkt zu den Fragen der Nation erarbeiten, sondern daß es immer mehr zu einem Clearing House der Interessen großer politischer und wirtschaftlicher Organisationen und Gruppen wird.“

Diese Worte der evangelischkonservativen deutschen Gräfin sind an die Adresse Bonns gerichtet. Wer die parteiinternen Vorgänge in unseren beiden Regierungsparteien in den letzten Jahren beobachtet hat, weiß, wie sehr sie auch auf uns zutreffen.

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