Regierungsbildung
DISKURSFIRST
Wahlsieg der FPÖ: Welcher Wille geschehe nun?
Herbert Kickls FPÖ hat die Nationalratswahl fulminant gewonnen. Die überwiegende Mehrheit hat den selbst ernannten "Volkskanzler" dennoch nicht gewählt. Warum es nun schwierig wird – und man dem ersten Mann im Staate einmal mehr danken muss. Eine Analyse.
Herbert Kickls FPÖ hat die Nationalratswahl fulminant gewonnen. Die überwiegende Mehrheit hat den selbst ernannten "Volkskanzler" dennoch nicht gewählt. Warum es nun schwierig wird – und man dem ersten Mann im Staate einmal mehr danken muss. Eine Analyse.
Es war am 1. Oktober 1999, als Jörg Haider am Wiener Stephansplatz seine Abschlussveranstaltung hielt. Die Menge war euphorisiert, neben der Bühne stand ein 30-jähriger Mitarbeiter aus Kärnten, der angesichts dessen, was plötzlich möglich schien, „eine Ganslhaut“ bekam. Am Sonntag darauf erreichte Haider tatsächlich 26,9 Prozent – und landete hinter der SPÖ von Viktor Klima und knapp vor Wolfgang Schüssels ÖVP auf dem zweiten Platz. Wie es weiterging, ist Legende: Bundespräsident Thomas Klestil gab zwar Klima den Regierungsbildungsauftrag, Wolfgang Schüssel schmiedete aber insgeheim ein Bündnis mit den Blauen – und wurde am Ende als Dritter Kanzler. Die internationale Empörung über die Regierungsbeteiligung einer Partei, deren Anführer Österreich einst als „ideologische Missgeburt“ betrachtet hatte, war enorm, Sanktionen folgten. Im Februar 2000 trat Haider schließlich als FPÖ-Vorsitzender zurück und wurde „einfaches Parteimitglied“ - der Anfang der blauen Selbstzerstörung, die in Knittelfeld kulminierte.
25 Jahre nach Haider stand am vergangenen Freitag sein damaliger Mitarbeiter selbst am Stephansplatz, eingeläutet von den Klängen der John Otti-Band und nur kurz irritiert von den Glocken des Steffl. „Es war ein Triumph damals, aber es hat nicht gereicht“, rief er in die Menge: „Was wäre dem Land erspart geblieben, wenn es einen Kanzler Haider gegeben hätte? Diesen Fehler werden wir nicht noch einmal machen.“
Türkises Wunschdenken
Nun hat Herbert Kickl den Triumph seines Idols noch übertroffen. Laut Hochrechnung (inklusive Wahlkarten) erreichte seine FPÖ am vergangenen Sonntag 28,8 Prozent der Stimmen – und wurde damit erstmals stärkste Kraft. Die Erzählung, dass die Hochwasserkatastrophe der ÖVP am Ende doch noch Platz eins retten könne, erwies sich als türkises Wunschdenken. Am Ende landete die Volkspartei auf 26,3 Prozent – mit einem historischen Minus von 11,2 Prozent gegenüber 2019.
Kickls fulminanter Erfolg ist das Ergebnis der Schwäche seiner Gegner – aber auch einer über Jahre konsequent verfolgten Strategie. Wie kein anderer verstand er es, die wachsenden Frustrationen durch Kriege, Krisen, Teuerung, (digitale) Transformation und die Herausforderungen einer diverser gewordenen Migrationsgesellschaft mit einer politischen Gegenerzählung, ja Gegenwelt aufzufangen. Es war ein empathisches, ja mitunter esoterisch anmutendes Empowermentprogramm für die (vermeintlich) Zukurzgekommenen, das er in seinem Wahlprogramm und in seinen Reden präsentierte. Kickl gab den dienenden Vater der Familie Österreich, der sich auch bewusst an Frauen und „tüchtige Migranten“ wandte, „Werkzeug“ werden und „Euren Willen“ geschehen lasse wollte. Die sprachliche Aggression von einst („Daham statt Islam“) wurde im Sinn der Breitenwirksamkeit verräumt.
Das Ressentiment als rechtspopulistische Essenz und der Rückgriff auf den sprachlichen Setzkasten der Nationalsozialisten blieben jedoch: Als „Volkskanzler“ kämpft Kickl gegen das „System“ und die „Einheitspartei“. Überhaupt wurden „die Eliten“, „die Besserwisser“, all jene, „die es nicht gut mit euch meinen“, neben den „Asylanten“ zu den eigentlichen Feindbildern erklärt. Die Corona-Pandemie spielte ihm dabei in die Hände: Deren Verwundungen und Traumata wirken stärker und tiefer nach, als die politische Konkurrenz bislang vermutete. Dass die vielfach versprochene umfassende Aufarbeitung weitgehend ausgeblieben ist, rächt sich bitter.
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