Feucht-Grünes für Schwarze

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"Stromaufwärts" - so der Titel eines neuen Sammelbandes - wollen Christdemokraten im 21. Jahrhundert rudern. Ein mutiges Buch - weil anders als die Wirklichkeit.

Die Zukunft der Christdemokraten wird nass sein: Unter dem Sammeltitel "Stromaufwärts" beschreiben 38 Autorinnen und Autoren ihre Visionen, Träume, Zielvorstellungen in flüssigen Bildern: "Zu den Quellen" ist gemeint, aber auch gegen illusionären Zeitgeist, freudig auch auf Zuflüsse (Migranten) und sogar Stromschnellen (Wissenschaft und Technologie, Generationen- und Geschlechterfragen) bauend. Die EU wird zum Stausee (oder auch wieder nicht), Mitteleuropa zum Regenwald, die Stadt zum "Biotop nachhaltiger Solidarität", das Weltmeer zur Völkergemeinschaft, die Verwaltung zur Aulandschaft, Ethos für Kultur und Medien zum Regenbogen, Bildung zum Grundwasser. Aber auch Begabung ist Grundwasser, Begabung freilich auch ein "Mosaik aus bunten Steinen" und "ein offenes Flussbett".

Die Sprachbilder dieses von den jungen Wissenschaftern Thomas Köhler und Christian Mertens sowie dem VP-Politiker Michael Spindelegger herausgegebenen Buches sind so kühn wie viele seiner Inhalte. Da ersteht vor den Augen faszinierter Leser eine politische Zukunft, die fernab von heutiger christdemokratischer Theorie (und Politik) angesiedelt erscheint: Familie ist, wo Verantwortung für eine andere Generation übernommen wird (S. 350). Aber Frauen, die keine Kinder haben (demnächst ein Drittel), verdienen keine Schelte, auch eine Gesellschaft mit immer weniger Kindern nicht (S. 241) - zumal die Erfahrung zeigt, dass eine niedrigere Frauenerwerbsquote nicht zu mehr, sondern zu noch weniger Kindern führt (S. 256)!

Unzulässig aber ist Familienverherrlichung daheim und Verweigerung von raschen Familienzusammenführungen bei Nichtstaatsbürgern (S. 129 ff.). Oder wie liest sich das: Christdemokraten bejahen nicht nur das jüdische Erbe der Zivilisation, sondern auch die Mitgliedschaft Israels in der EU, und die Mitgliedschaft der Türkei natürlich auch - durch "Öffnung zu den Islamdemokraten" (S. 79 ff.). Irgendwie ganz aus dem Rahmen fällt Rudolf Burgers Deutung der europäischen Integration ("Nicht Frieden durch EU, sondern EU dank Frieden" - und jede weitere Demokratisierung wäre "bestandgefährdend", S. 77).

Havel statt Klaus

Wohltuend liest sich das Plädoyer zugunsten von Menschenwürde im Zusammenhang mit Biogenetik, Stammzellen- und Embryonenforschung, Klonen: Warnung vor Missbrauch, aber auch vor neuer Horrorideologie - abgestufte Differentialethik ist gefragt (S. 149 ff.). Recht eindeutig fällt die Ablehnung eines ungebremsten Neoliberalismus durch namhafte Ökonomen aus: Marktwirtschaft ist Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck (S. 187), Václav Klaus mit seiner Marktideologie ist "einer der zu überwindenden Gegner" von Christdemokraten, Václav Havel dagegen ein beispielhafter Vertreter, ja, irgendwie sogar auch Manès Sperber (S. 372 f.). Und die Tobin-Steuer auf Devisenumsätze wäre wünschenswert (S. 48, 56). Nach Lesen des halben Buches festigt sich die Überzeugung: Am besten würden schwarze und grüne Verfechter von Solidarität, Nachhaltigkeit und Subsidiarität zusammenpassen! Ab Seite 379 wird das auch ohne Schamröte ausgesprochen.

Das Buch liest sich spannend, weil es nach vorn schaut und spürbar macht, dass richtig verstandene christdemokratische Politik (religiös inspiriert, aber nicht konfessionell gebunden, auch dem Humanismus und der Aufklärung verpflichtet, wert- aber nicht strukturkonservativ oder wertrelativ) in einer Zeit des entfesselten Ökoliberalismus Hoffnung auf neue Ordnungsmaßstäbe bietet. Man muss, man wird nicht mit allem konform gehen, was einzelne der durchwegs hochkarätigen Autoren postulieren, aber darüber nachdenken sollten nicht zuletzt alle christdemokratischen Politiker - ob sie sich in diesen Zielbeschreibungen wiederfinden (möchten).

STROMAUFWÄRTS

Christdemokratie in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts

Hg. Thomas Köhler, Christian Mertens, Michael Spindelegger

Böhlau, Wien - Köln - Weimar 2003

401 Seiten, geb., e 35,-

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