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Heraus aus der Spirale!

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Res ad triarios venit! So hieß es bei den römischen Legionen, wenn die ersten beiden Schlachtreihen durchbrochen waren und die dritte Schlachtreihe, die Triarier, in den Kampf geworfen werden mußte. Aber selbst das Pathos eines solchen Vergleiches reicht kaum an die Eindringlichkeit heran, mit der gegenwärtig an Arbeitnehmer und Arbeitgeber appelliert wird, durch vereinten Verzicht auf Lohn- und Preissteigerungen Österreichs Wirtschaft vor jener Krise zu bewahren, die Notenbank und Finanzministerium für sich allein nicht auf Distanz halten konnten.

Die einer stärkeren Zurückhaltung bei Lohn- und Preisforderungen entgegenstehenden Schwierigkeiten liegen aber weniger im Sachlichen als vielmehr in dem sich für die leitenden Funktionäre der Interessenvertretungen stellenden Problem, diesen Sachverhalt den von ihnen Vertretenen plausibel zu machen. In der Annahme, solche Schwierigkeiten seien vor allem auf Arbeitnehmerseite anzutreffen, wurde die ursprüngliche Idee, durch beiderseitige Mäßigung der Sozialpartner könne der Preisauftrieb gestoppt und der Wirtschaft eine Atempause verschafft werden, dahingehend erweitert, den Arbeitnehmern solle der Verzicht auf das bisherige Tempo der Lohnbewegung durch eine Reform der Lohnsteuer schmackhaft gemacht werden. Zu diesem Junktim mit der Lohnsteuerreform ist im Auf und Ab der Verhandlungen die Forderung hinzugekommen, eine stärkere Zurückhaltung bei Lohnforderungen müsse von einer „konzentrierten Aktion“ zur Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität begleitet werden. Dabei wurde insbesondere auf die Vorschläge des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen verwiesen.

Trotzdem sind solche Überlegungen sekundär. Denn zur Rechtfertigung der angeführten Bedingungen einer Zurückhaltung bei Lohnforderungen bedarf es gar keiner Tausch-geschäf targumente. Eine Lohnsteuerreform dürfte durch den damit möglichen Übergang zu antizyklischer Budgetpolitik und durch die bewirkte Steigerung der Realeinkommen ausreichend legitimiert sein, und daß jede Lohnbremse erst dann sinnvoll wird, wenn sie durch entsprechend koordinierte Aktionen unterstützt wird, ist eine Binsenweisheit.

Das eigentliche Problem liegt anderswo: Sind die Hoffnungen, die an ein — egal in welcher Form — Abkommen der Sozialpartner über beiderseitige Mäßigung geknüpft werden, berechtigt oder besteht die Gefahr, daß übertriebene Hoffnungen nur zu einer um so größeren Enttäuschung in der Zukunft führen? In der gegenwärtigen Situation einer geradezu dramatischen Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft dürfte schon auf Grund der eingangs angeführten Überlegung die Zweckmäßigkeit einer solchen Bremse schwerlich zu bestreiten sein.

Aber eine solche Feststellung beantwortet noch lange nicht die Frage nach den Bedingungen, die erfüllt werden müssen, um einer Lohnbremse Sinn zu geben. Gerade diese Frage darf aber nicht zu kurz kommen. Das ergibt sich schon aus dem Begriff selbst, mit dem das erhoffte Ergebnis zurückhaltender Lohnpolitik umschrieben wird. Die Bezeichnung als „Atempause“ ist nämlich einfach sinnwidrig. Soll Österreichs Wirtschaft den Anschluß nicht verlieren, dann darf die Beruhigung der Kostenseite nicht nur dazu führen, daß die Unternehmer eine ruhigere Entwicklung der Gewinnsituation abwarten. Die Atempause darf, bildlich gesprochen, nicht darin bestehen, daß die Unternehmen im Wettlauf mit der Konkurrenz stehen bleiben, um Atem zu schöpfen, sondern daß sie, von einer schweren Last befreit, um so schneller laufen.

Die Forderung, im Austausch für eine Mäßigung des Tempos der Lohnbewegung die Vorschläge des Beirates rasch und vollständig zu verwirklichen, ist daher nicht nur im Politischen begründet. Bedauerlich ist jedoch, daß mit den Vorschlägen des Beirates zuletzt Vorstellungen vermengt wurden, die in mehrfacher Hinsicht entbehrlich erscheinen. Etwa der Plan, einen Teil der durch Senkung der Mindestreserve freiwerdenden Beträge einer einzigen Bank zuzuführen, die zentral nach „selektiven“ Kriterien die Investitionen der österreichischen Wirtschaft finanzieren soll, geht selbst über die Techniken der französischen Planifikation weit hinaus. Und ist die Situation wirklich schon so ernst, daß man selbst die schwersten rechtlichen Bedenken beiseite schieben zu können glaubt? Der Zwang, der von der Nationalbank auf die Kreditinstitute ausgeübt werden müßte, damit sie ihre Gelder zur Kräftigung eines Konkurrenzinstitutes verwenden, findet in den Ermächtigungen des Nationalbankgesetzes kaum eine Deckung, und die Schaffung einer zentralen Investitionsfinanzierungs-stelle bei einem Kreditinstitut läßt alle demokratischen Grundrechte einer Kontrolle der Verwaltung gar nicht erst entstehen.

Kehren wir zum Bild der römischen Legionen zurück. Wenn die ersten beiden Schlachtreihen durchbrochen waren, wurde die dritte eingesetzt. Wurden aber die ersten beiden überhaupt schon in den Kampf geworfen? Nationalbank und Fiskalpolitik verfolgen nun schon seit längerem eine Linie, mit der sie sich ihre Handlungsfreiheit selbst eingeengt haben. Soll aber die freiwillige Bewegungslosigkeit der an sich prädestinierten wirtschaftlichen Steuermechanismen verewigt werden und dazu führen, daß man zu Mitteln greift, die viel schwerwiegenderen Imponderabilien ausgesetzt sind? Die wirtschaftliche Situation hat sich in den letzten Monaten sicher nicht gebessert. Aber es zählt nicht zu den Symptomen einer echten, sondern zu denen einer Nervenkrise, von einem Extrem ins andere zu fallen.

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