Vision und Verlegenheit

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Die "Fortschrittspartei" hat sich erneuert. Es spricht für die Ideologen der SPÖ, nicht so zu tun, als könnten sie wieder das Paradies in Aussicht stellen.

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Die "Fortschrittspartei" hat sich erneuert. Es spricht für die Ideologen der SPÖ, nicht so zu tun, als könnten sie wieder das Paradies in Aussicht stellen.

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Der außerordentliche Parteitag in einer Werkshalle in Wien-Simmering hatte eine schlechte Presse. Vom neuen Programm hieß es, es sei schwach, strotze vor Gemeinplätzen und vermittle keine Visionen.

Dabei war "Vision" ein Hauptwort des Parteitages. Viktor Klima wollte ganz offensichtlich den Nadelstreif-Pragmatismus seines Vorgängers vergessen machen. Es ist ja auch wahrhaftig nötig, einen neuen Aufbruch zu signalisieren, das heißt, zu sagen: "Es wird anders!" Zu verbreitet ist nämlich die Malaise, das Unbehagen an der Gegenwart, die Angst vor der Zukunft, das Gefühl, unbeherrschten Kräften (Globalisierung etc.) ausgeliefert zu sein.

Aber das ist das Dilemma der sozialistischen Bewegung: sie formierte sich in einer Zeit, in der sich ihre Anhänger miserabel fühlten, elendig, chancenlos, ausgebeutet.

Dagegen setzte die sozialistische Arbeiterbewegung die Verheißung einer besseren Welt: "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit ...", "Mit uns zieht die neue Zeit!"

Solche Lieder anzustimmen, würde heute einen Parteitag zur Groteske machen. Oder zur nostalgischen Vergangenheitsbeschwörung der Vorgestrigen.

Die SPÖ-Führung wußte das auch. Daher wurde keine neue heile Welt visionär entworfen, sondern der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und andere offenkundige Übel wird proklamiert. Ohne daß allerdings klar wurde, wie in diesem Kampf ein Sieg errungen werden kann.

Trotzdem brachten der Parteitag und das Programm neue Akzente: * Es geht der SPÖ um "den Menschen". Das ist nicht neu. Immer schon betrachtete sich die Sozialdemokratie als eine "humanistische" Bewegung. Der Marxismus war vor allem deshalb so faszinierend, weil dieser die "Befreiung der Arbeiterklasse" nicht nur als ein Klassenanliegen darstellte, sondern als den entscheidenden Schritt zur Vermenschlichung der Menschheit.

* Aber der alte sozialistische Grundwert der "Solidarität" wird neu verstanden: Ging es früher um die "Solidarität der Werktätigen" (ganz am Anfang: der "Proletarier") gegen die Unternehmen, gegen den bürgerlichen Staat, so wird der Begriff nun weiter gefaßt: sogar die Unternehmer werden jetzt als Partner gesehen, nämlich im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Mit anderen Worten: Man hält Solidarität über die alten Klassenklüfte hinweg für möglich.

* Das ist eine bemerkenswerte Wendung. Eigentlich müßte sie die ÖVP als Signal verstehen: es gibt ganz offensichtlich neue grundlegende Gemeinsamkeiten. Nach 1945 trat ja die ÖVP mit der Parole an, an die Stelle alter Klassengegensätze müßte die Idee des Miteinander, der Partnerschaft, der Zusammenarbeit aller Kräfte treten.

Die SPÖ wird bei der Einschätzung der Realität genötigt, Einsichten zu akzeptieren und Positionen zu formulieren, die ein Einvernehmen mit der ÖVP nahelegen. (Vielleicht sollte sich die ÖVP auch an ihre christlich-soziale Tradition erinnern??)

* Aber noch etwas ist interessant: Die SPÖ plädiert dafür, daß die Österreicherinnen und Österreicher mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung entwickeln müssen. "Politik kann und soll nicht den Einsatz und die Initiative der in der Wirtschaft Tätigen ersetzen", so der Originalton Viktor Klima. Irgendwie erinnert das an den alten, schon fast vergessenen ÖVP-Slogan "Politik für den selbständigen Menschen".

Das ist umso bemerkenswerter, als "Leistung" und "Leistungsgesellschaft" keine sozialdemokratischen Parolen sind. Aber die entsprechende Botschaft steht ganz offensichtlich zwischen den Zeilen: Es geht nicht um die Begeisterung für liberales Gedankengut. Es geht darum, daß es ohne solche Einstellungen nicht möglich ist, aus der Krise herauszukommen. Das läßt sich einfach nicht mehr verhehlen.

Das heißt allerdings nicht, daß eine sozialdemokratische Partei gegenüber einer neuen Kluft, die sich in der Gesellschaft auftut, blind ist. Heute geht es nicht mehr um den klassischen Gegensatz von Arbeit und Kapital, sondern um den Gegensatz zwischen Wohlstandsgenießern und den "underdogs", den Verlierern der Modernisierung (das können auch Unternehmer sein, die auf der Strecke bleiben: Greißler, Landwirte, "selbständige" Zeitungskolporteure oder jene Arbeitslosen, denen man derzeit empfiehlt, sich selbständig zu machen, also jenseits der Lohnabhängigkeit ihr Glück zu versuchen ...)

* Übrigens: die Ablösung des alten Klassengegensatzes durch den Gegensatz zwischen den Gutlebenden und den neuen Armutsgefährdeten aufgrund der ungleichen Lebenschancen - das war eine der zentralen Thesen der "Frankfurter Schule" vor 30 Jahren. Die Schüler dieser Schule, das waren damals die "68er" ...

n Also: der Parteitag, samt dem neuen Programm, macht ein tragisches Dilemma deutlich. Die Sozialdemokratie war stets eine zukunftsgläubige Bewegung. Sie kann das heute aber nicht mehr sein. So ist es kein Wunder, daß man ihr vorwirft, sie habe keine Visionen, ergehe sich in Platitüden.

Man kann das durchaus auch positiv sehen. Es spricht für die Programmatiker und Ideologen, daß sie nicht mehr so tun, als könnten sie das Paradies in Aussicht stellen.

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