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Die menschbezogene Architektur

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Architektur memchbezogen. Von Architekt Dipl.-lng. Dr. techn. Kurt Auckenthaler. Schriftenreihe der oberösterreichischen Landesbaudirektion, Nr. 12. 208 Seiten. Mit einer Tabelle und 77 Abbildungen. Oberösterreichischer Landesverlag, Wels, o. J. Preis 76 S.

Ein seltsames Buch! In einem Landesverlag, in der Schriftenreihe eines Amtes, erscheint ein Buch, dessen geschmackvolle und höchst moderne Gestaltung, vom Schutzumschlag bis zum Zusammenspiel von Text und Abbildungen, nicht nur für die von Aemtcrn herausgegebenen Publikationen beispielhaft sein könnte. Ein menschbezogenes Buch in einer Reihe, die sich bisher nur mit rein lokalgebundenen Themen beschäftigte!

Ein seltsames Buch! Auf zwei informative und anregende Kapitel, die sich mit den historischen Grundtypen des Städte- und Einzelbaues und den städtebaulichen Grundtypen der letzten 150 Jahre auseinandersetzen, folgt ein teilweise höchst phantastischer Abschnitt über „Die menschbezogene Siedlung der Zukunft“; hier weichen die klaren, übersichtlichen Grundrisse und Planskizzen auf einmal auch illusionistischen „Architekturbildern“, wie etwa einer Zeichnung des „Fahrbaren Amphibien-Flughauses der Zukunft“, das angeblich die „Keimzelle der fliegenden Stadt“ darstellen wird. Das ist, offen gesagt, vollendeter Unsinn, der in billige Wochenmagazine, die alle acht Tage die Landung der Marsmenschen erwarten, gehört, aber nicht in ein ernstzunehmendes Werk über Fragen der Architektur.

Ein seltsames Buch: Während der „zukunftweisende“ Abschnitt hauptsächlich die Traumarchitektur eines Wirrkopfes darzustellen scheint, enthalten die beiden historischen Kapitel manchen vernünftigen Gedanken, mit dem auseinanderzusetzen sich lohnt. Die Grundthese des Verfassers ist kurz folgende: der Mensch hat sich in den vergangenen Jahrhunderten von den organisch-natürlichen Funktionen des Wohnens entfernt. Heute ist die Architektur vielfach nicht mehr menschbezogen, der Mensch in seiner Wohnung daher nicht mehr zu Hause, sondern, um es mit Holthusen zu sagen, „un-behaust“. Durch die naturwissenschaftlich-technischsoziale Revolution des 19. Jahrhunderts kam es zur Ausbildung von vier Stadtprinzipien: der kapitalistischen Stadt, die auf dem Prinzip der möglichst billigen Investition beruht (Beispiel: Zinskaserne); die mono-technische Stadt, der es um rationalisiertes Wirtschaften und die technische Sensation geht (Beispiel: Wohnkonserve); die „Barackenstadt“, die negative Synthese der beiden vorangegangenen Bau-prinzipien, die soziale Notlösung, die billig und schnell zur Hand sein soll (Beispiele: Barackensiedlungen, aber auch Großwohnungen mit Kleinst-, Einfachst- und Zwergenwohnungen); die Luxussiedlung, die das andere Extrem darstellt: hier isoliert sich der Mensch von der Gemeinschaft (Beispiel: das Haus auf Meeresklippen, über Wasserfällen usw., Bauten von Richard Neutra und Frank Lloyd Wright). Das Neue an der Betrachtungsweise des Verfassers ist nun die konsequente Untersuchung der „menschbezogenen Wertigkeit“ der einzelnen Bauprinzipien, wobei er sich auf Erkenntnisse der „psychologischen Architektur“ stützt. Den Ausweg aus dieser Situation, den Auckenthaler in der Entfaltung eines „optimalen Gestaltungswillens“ sieht, hat er zu wenig klar gefaßt, als daß wir mit ihm etwas anfangen könnten.

Architektur menschbezogen — das könnte auch der Titel einer Geschichte der Architektur unseres Jahrhunderts sein, von Frank Lloyd Wright über Le Corbusier bis zur funktionell-puristischen Schule des „Neuen Bauens“, die vom Weimarer Bauhaus (Walter Gropius) ausging. Auf ein solches Buch warten wir noch.

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