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Der Volkskanzler braucht Erfolge

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Daß eine derartige Tendenz innerhalb der CDU hervortritt, muß als eine Folge ihrer Stellung als Regierungspartei angesehen werden. Es ist unvermeidlich, daß sich beim Erfolg Erfolgsanbeter niederlassen, und es ist ebenso unvermeidlich, daß eine durch Erfolg satt gewordene Partei eine gewisse Erschlaffung unter ihren Anhängern erlebt, was wiederum radikalen Elementen einen größeren Einfluß verschafft.

Innerhalb der einzelnen Ortsverbände ist Kampf gegen jemand ja die einfachste Form der Politik. Daher mußte auf dieser Ebene die sich anbahnende Versöhnung mit der SPD auf heftigen Widerstand stoßen. Unter Konrad Adenauer konnten sich diese Elemente umso sicherer fühlen, als es damals genügte, seine Übereinstimmung mit dem Kurs des Bundeskanzlers kundzutun, um zu Amt und Würden im Rahmen der Partei zu gelangen. Ludwig Erhard kann diese inzwischen gesettelte Gruppe innerhalb der CDU nur durch einen überzeugenden Wahlsieg 1965 gewinnen. Solange die von Erhard zu Beginn seiner Kanzlerschaft propagierte Politik sich nicht in Wahlerfolgen niederschlägt, kann Erhard nicht damit rechnen, eine getreue Gefolgschaft im Fußvolk der Partei zu gewinnen. Der Volkskanzler wird hier nur gefragt, wenn er Erfolge hat.

Es wäre für jeden Nachfolger Adenauers schwierig gewesen, eine Politik der Verständigung und des Ausgleichs nach innen und außen einzuleiten. Für Erhard boten sich aber besondere Chancen. Er war kein Parteimann und er war daher von der Partei weniger abhängig als die meisten anderen Kanzlerkandidaten. Er konnte sich notfalls für seine Politik die Unterstützung der anderen Parteien im Bundestag sichern. Eine solche Politik der Vernunft hätte auch noch den Vorteil geboten, daß sie der FDP das Konzept zum Wahlkampf 1965 völlig und der SPD weitgehend verdorben

hätte. Hätte Erhard aber als Volkskanzler gesiegt, so wäre es seine historische Aufgabe gewesen, seine Partei aus dem unfruchtbaren Winkel pseudokonservativen Beharrens heraus wieder an politische Entscheidungen heranzuführen.

Die sich in der CDU/CSU verstärkenden Rechtstendenzen sind ja nicht politisch begründet, sondern weitgehend das Ergebnis des politischen Desinteresses weiter Kreise. Genau, wie die SPD erst nach dem KPD-Verbot anfing, eine bürgerliche Partei zu werden, so könnte die CDU/CSU heute, nach Auflösung von DP und BHE, viel weiter nach links rücken. Aber dafür sind keinerlei Anzeichen vorhanden. Ja, man kann es geradezu als symptomatisch bezeichnen, daß es dem profilierten Führer des Arbeiterflügels der CDU, dem Abgeordneten Katzer, nicht gelungen ist, gegen den kaum noch ein Ansehen genießenden Arbeitsminister Blank in das Parteipräsidium vorzudringen.

Die Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt, die für jeden anderen Kandidaten ein Handikap gewesen wäre, hätte für Erhard also eine Chance sein können, sein weit über seine Partei hinaus wirkendes Ansehen zugunsten einer neuen Politik einzusetzen. Es scheint aber, daß Erhard die „Durststrecke“ einer solchen Politik nervenmäßig nicht durchgehalten hat. Der Eindruck, der sich bei der Passierscheinaffäre aufdrängte, daß er plötzlich sich entschlossen hat, auf einen „harten Kurs“ auch in der Ostpolitik einzuschwenken, hat sich auch nach dem Bundesparteitag durch seine Rede vor den Vertriebenenverbänden vom 22. März noch verstärkt. Erhard ließ sich hierbei zu einer Betonung der Grenzen von 1937 hinreißen, wie sie in dieser Form von Adenauer nie gegeben worden ist. Daß gleichzeitig der für seine Sonntagsreden unrühmlich bekannte Bundesverkehrsminister auf der Tagung der Sudetendeutschen die Anerkennung des Münchner Abkommens von 1938, also die Abtretung des Sudetenlandes, forderte, rundete für ausländische Beobachter das Bild in höchst negativer Weise ab, das auch durch Erhards Versicherungen nicht gemildert wurde, die Bundesregierung wolle durch Intensivierung der Handelsbeziehungen die Kontakte zu den Oststaaten pflegen. Durch Ungeschicklichkeiten und unangebrachte Brüskierungen sind überdies gleichzeitig die deutsch-russischen Beziehungen so abgekühlt wie schon lange nicht mehr. Diese Entwicklung ist umso unbegreiflicher, als auf dieser Linie keiner der westlichen Verbündeten der Bundesregierung folgen wird. Sie ist eigentlich nur aus einer Panikstimmung Erhards vor dem sich langsam abzeichnenden Wahlkampf zu verstehen. Damit ist aber auch die von Gerhard Schröder durch Errichtung westdeutscher Konsulate in östlichen Ländern vorsichtig in Gang gebrachte Ostpolitik gefährdet. Es scheint, daß Schröder in letzter Zeit auch bei Erhard an Einfluß und Ansehen verloren hat. Er gilt beim Fußvolk der CDU/CSU als wenig beliebt und hat in den höheren Chargen viele Feinde.

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