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Innenpolitische Affären und Skandale als ergiebiger Stoff für theatralische Interventionen. Ein Plädoyer für eine überkommene Kunstform anhand von Unschuldsvermutung & Co.

Reinhard Deutsch begann seine Kolumne "Deutschstunde“ (FURCHE Nr. 14) mit den Worten: "In den letzten Wochen durfte man erleben, dass das Theater keineswegs eine aussterbende Kunstform ist.“ Um dann von den "Auftritten“ diverser Persönlichkeiten vor dem Untersuchungsausschuss des Nationalrats und deren theatralischen Qualitäten zu schwärmen (es war auch das Wort "Kasperlbühne“ zu lesen). Dieser Faden sollte weitergesponnen werden, denn in der Tat gibt das oft totgesagte Theater äußerst kräftige Lebenszeichen von sich. Die Rede ist hierbei von Projekten wie "Wir Staatskünstler“, den "Lesungen der Abhörprotokolle Grasser und Co.“ und der "Unschuldsvermutung“, einer Collage, die nur mit Originalzitaten von Meinl, Mensdorff, Elsner, Grasser u. a. einen großartigen, aber nicht nur humorvollen Theaterabend im Rabenhof-Theater bescherte. Diese Verbindung von originalen Werken mit originalen Worten auf der Bühne lässt längst verschollen geglaubte Theorien über das Theater zumindest kurzzeitig wieder auferstehen.

Der sittliche Einfluss der Bühne

Friedrich Schiller stellte in seiner 1784 unter dem Titel "Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ veröffentlichten Rede drei übergeordnete Behauptungen auf:

• Eine Schaubühne ist eine moralische Anstalt und eine Schule praktischer Weisheit.

• Eine Schaubühne ist eine gesellschaftspolitische Anstalt und Instrument der Aufklärung.

• Eine Schaubühne ist eine ästhetische Anstalt.

Der sittliche Einfluss der Bühne erzieht und belehrt den Menschen durch die Vorführung der mannigfaltigen menschlichen Tugenden, Torheiten, Leiden und Laster, die Bühne "schützt sein Herz gegen Schwächen“ und belohnt ihn "mit einem herrlichen Zuwachs an Mut und Erfahrung, Menschlichkeit und Duldung“, so der hehre Theaterfürst.

Das Absurde Theater Becketts und Ionescos hat dem Theater im 20. Jahrhundert das "Schule der Nation“-Sein (Lessing) oder "Moralische Anstalt“-Sein ausgetrieben. Für Bert Brecht, der seine Theaterarbeiten noch als "Lehrstücke“ bezeichnet, sind Ethik und Moral abhängig vom Klassenkampf: "Moral ist ein Erpressungsmittel der Herrschenden.“ Dürrenmatt, der letzte große Moralist am Theater, verstand das Theater als "Abbild des labyrinthischen Zustands der Welt“. Der Typus der Tragikomödie sei die einzig mögliche dramatische Form, heute das Tragische auszusagen: "Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts […] gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt.“ Wer denkt bei diesen Worten nicht automatisch an die Hauptdarsteller der diversen BUWOG-usw.-Affären?

"Das Theater muss wieder eine moralische Anstalt werden. Es muss Haltung zeigen gegen die Beliebigkeit, es muss sich angreifbar machen durch Entschiedenheit. Moral meint nicht die Überheblichkeit der Theaterschaffenden, die so leicht glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, die Avantgarde der Gesellschaft zu sein. Moral ist nicht billig zu haben. Moral meint das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft zu denken, zu formen“, meinte Andrea Breth in einer Rede, gehalten auf der Tagung "Wohin treibt das Theater?“ der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt am 21. Oktober 2004. Ja, schon, aber wie?

Heiterkeit allein ist zu wenig

Zwischen den Innerlichkeiten von Peter Handkes Stücken und den an diverse Skandale angelehnten Texten von Elfriede Jelinek klafft eine riesige Lücke, die man durchaus fehlendes allgemeines Publikumsinteresse an Innerlichkeiten oder Moral nennen könnte. Die "Staatskünstler“ Florian Scheuba, Thomas Maurer und Robert Palfrader haben mit ihren Originalzitatenstücken ein bisschen Füllmaterial für diese Lücke bereitgestellt, das auch im TV, dem wahren Feind des Theaters, für Interesse und Quoten sorgt. Heiterkeit allein reicht nicht aus, um die Wirkung und den Erfolg dieses Formats des Zerpflückens von Original-Aussprüchen zu erklären. Es geht hierbei auch darum, Ordnung zu schaffen, Relationen herzustellen, wieder etwas Überblick zu gewinnen, um in dem Übermaß an Informationen - die großteils auch gestreut werden, um Sachverhalte zu vernebeln - wichtige und pikante Dinge wieder ins hellere Licht zu rücken. Und nicht nur in das der Bühnenscheinwerfer.

Bei einem Gespräch in der Küche des Rabenhof-Theaters erzählte Florian Scheuba von interessanten Begleiterscheinungen dieser Projekte. Zum Beispiel vom Besuch des Herrn Grafen Mensdorff-Pouilly einer Vorstellung von "Unschuldsvermutung“ im Rabenhof: "Der war nachher echt ang’fressen.“ In seinem Fall wurde die Verlesung eines Briefzitates bei einer anderen Gelegenheit über "aggressive Zahlungen“ sogar zum ermittlungstechnischen Hinweis für die anwesenden Staatsanwälte. Besagtes Briefzitat fand daraufhin Eingang in die Ermittlungsakten. Auch darüber hinaus hat es schon öfters Besuche von Mitgliedern der Staatsanwaltschaft gegeben, vor allem bei der Lesung der Abhörprotokolle. In einigen Fällen ist es auch zu Gesprächen mit Ermittlern gekommen. Da bekommt das Wort "aufklärerisch“ im Zusammenhang mit dem Theater einen neuen Sinn, einen quasi wörtlichen.

Moralisches gilt als uncool

Die Übernahme dieser Projekte ins Fernsehen bewirkt einen zusätzlichen Effekt, denn es stellt sich die Frage, warum Leute noch ins Theater gehen, wenn etwas ohnedies schon, leicht gekürzt und geschnitten, im Fernsehen zu sehen ist. Die Grenzen von Theater und Fernsehen werden aufgeweicht, die alte Feindschaft wird zur Partnerschaft. Das Theater hat hier einen Vorsprung: In der Fernsehberichterstattung ist kein Platz für gewichtige Betrachtungen, Journalisten haben großteils Angst mit moralischen Ansichten zu argumentieren. Moralisches gilt heutzutage als uncool, man will sich nicht angreifbar, auf keinen Fall lächerlich machen. Florian Scheuba meint, dass es vor allem das Live-feeling ist, das hier den Ausschlag gibt. Das direkte Erleben, die unmittelbare Präsenz der Akteure und nicht zuletzt das Gemeinschaftsgefühl sind die wesentlichen Faktoren für ein gesteigertes Erlebnis. Das ist nicht neu, aber immer wieder gut zu hören. Es geht nicht nur um Information und Unterhaltung, sondern auch um deren nachhaltige Vermittlung. Und da hat das Live-Erlebnis im Theater in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten immer noch die besseren Karten. Daran wird HDTV, 3 D oder Duftfernsehen nichts ändern. Hoffentlich.

So mancher "Auftritt“ vor den Untersuchungsausschüssen oder Prozessen könnte, dramaturgisch geschärft und von einem guten Schauspieler gebracht, auf einer Bühne für Furore sorgen. Stoff für Folgeprojekte der "Unschuldsvermutung“ oder neue Lesungen von Protokollen wäre genug vorhanden, auch wenn ein Sager wie "Wo woa mei Leistung?“ schwer zu toppen sein wird.

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