Was wird hier eigentlich gespielt?

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Politisches Handeln wird inszeniert, um das Publikum zu unterhalten. Information, Sinngebung und Kommunikation haben in der Theaterwelt des Politischen kaum eine Chance.

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Politisches Handeln wird inszeniert, um das Publikum zu unterhalten. Information, Sinngebung und Kommunikation haben in der Theaterwelt des Politischen kaum eine Chance.

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Der eine Mann hätte eigentlich von der erlittenen Wahlschlappe gezeichnet sein müssen. Aber keine Spur davon, er verstand es, mit der Niederlage souverän, ja fast in Siegerpose umzugehen. Ganz der Herr der Lage, lehnte Helmut Kohl eine große Koalition entschieden ab und verkündete forsch, man werde sich auch in der Opposition zu bewähren wissen. Diese Opposition bedeutet seither, sich im Bundestag bequem zurückzulehnen und die Reden der neuen Regierung mit süffisantem Lächeln zu quittieren.

Ein anderer Mann, noch deutlich gezeichnet von den Folgen des heimtückischen Attentats, das er mit gehörigem Glück überlebte, hatte sichtlich Mühe, mit nur einer Hand das große Kruzifix aus der ausgebeulten Sakkotasche zu nesteln. Als er es endlich geschafft hatte, hielt er es freudestrahlend in die Kameras und erzählte: "Sie werden jetzt vielleicht lachen, aber das Kreuz hat mir meine Frau vor vielen Jahren geschenkt, und ich trage es immer hier bei mir, und ich glaube, das hat mich beschützt!" Als einer, der vor seiner politischen Laufbahn als Starmoderator beim ORF selbst Politiker interviewte, wußte Helmut Zilk bis ins Detail, wie Selbstinszenierung funktioniert. So auch in seiner maßvollen Reaktion auf die jüngst in Tschechien erhobenen Anschuldigungen.

Der Sozialist Zilk knüpft, was die volkstümliche Inszenierung betrifft, an die Tradition des konservativen "Volkstribuns" Karl Lueger an, den die Wiener den "schönen Karl" nannten. Lueger liebte es, seine öffentlichen Auftritte großartig zu gestalten. Abgesehen von einem "Lueger-Marsch" und eigenen Uniformen für seinen "Hofstaat" ließ der Bürgermeister, der für die damals sechstgrößte Stadt der Welt tatsächlich Großes leistete, auch noch zu seinem Ruhm in zahllose Steintafeln "Errichtet unter Dr. Karl Lueger" meißeln. Mit gutmütigem Spott untertitelte eine satirische Zeitung ein Foto eines Elefantenbabys in Schönbrunn: "Geworfen unter Dr. Karl Lueger".

Von einem, für den Lueger Leitfigur war, berichtet Bertolt Brecht: "Ich saß mit ein paar Literaten und Theaterleuten im Münchner Cafe Hofgarten. ... Am Nachbartisch saß ein ziemlich gewöhnlich aussehender Mensch mit einer häßlich fliehenden Stirn, ungesundem Teint und schlechter Haltung. Er sprach mit einigen Männern, die aussahen, als wären sie Offiziere in Zivil. Er war ein hiesiger Agitator, der gerade eine Massenkundgebung gegen die Juden in einem Zirkus am Stadtrand abgehalten hatte, ein gewisser Adolf Hitler. Boshaft erzählte uns einer der Schauspieler, Hitler nehme zur Zeit Schauspielunterricht bei Basil, dem Schauspieler am königlichen Hoftheater, und zahle acht Mark die Stunde. Wir amüsierten uns ganz schön darüber, und es störte uns wenig, daß der Agitator am Nebentisch uns hören konnte. ... Ich muß zugeben, daß das später gar nicht mehr so lustig wirkte." Hitler, der später, um seine Wirkung am Rednerpult einzustudieren, auch endlos vor seinem Fotografen Heinrich Hoffmann posierte, hatte "die acht Mark, die er Basil pro Stunde zahlte, gut angelegt..."

Drohkulissen Der Diktator verstand es aber auch, Regie zu führen. So ließ er, als er mit dem österreichischen Kanzler Schuschnigg über die Volksabstimmung wegen des Anschlusses an Deutschland verhandelte, "besonders martialisch" aussehende Generäle herbeizitieren, um sie als "Drohkulisse" zu verwenden. Sie hatten es leicht, der Komödiant in der Reichskanzlei, sein Dramaturg Joseph Goebbels im Propagandaministerium und sein Bühnenbildner und Beleuchter, der Architekt Albert Speer, denn es war ja - zumindest im eigenen Haus - jede Kritik gleichgeschaltet.

Heute mag uns, die wir in einer Massendemokratie mit allgegenwärtigen, uneingeschränkt agierenden Medien leben, derlei Inszenierung in ihrer hemmungslosen Übertreibung lächerlich erscheinen.

Thomas Meyer, Professor für Politikwissenschaften, Mitglied der Programmkommission der SPD, Autor zahlreicher Publikationen zu politischen Themen, erklärt in seinem neuen Buch "Politik als Theater" (Aufbau-Verlag, Berlin 1998), wie es derzeit ungleich raffinierter gemacht wird - und werden muß: denn im Gegensatz zu autoritären Herrschaftsformen muß in der Demokratie Macht nicht nur dargestellt, sondern auch legitimiert werden. Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielen naturgemäß die Massenmedien, als Bühne, als Vermittler und als "Theaterkritiker". Nicht unterschätzt werden darf vor allen Dingen die Kraft des bewegten Bildes als Vermittler inszenierter "Unmittelbarkeit", das beim Betrachter höchste Glaubwürdigkeit genießt im Sinne von "Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen" und stets als ein Stück Wirklichkeit anerkannt wird. Aber "es wäre vollkommen absurd, in der Mediengesellschaft von Politik und politischer Kommunikation zu verlangen, nach dem kleinen Einmaleins der Didaktik für den politischen Unterricht zu verfahren und alles puristisch zu meiden, was an Rhetorik, Theater oder Unterhaltung erinnert." Doch "die klassische Einheit von überzeugendem Argument, Übereinstimmung mit den Lebensweisen des Publikums und der Erregung starker Gefühle, die gute Rhetorik für Aristoteles ausmachte, sollte auch in der Gegenwart als Richtschnur für politische Massenkommunikation Anerkennung finden."

Wenn politische Inszenierung von den Regeln der Massenmedien dominiert wird, besteht die Gefahr, daß Inhalte durch äußerliche Marketingstrategien verwässert werden. Diese Entwicklung ist längst in vollem Gange, Parteien sind eigentlich kaum mehr voneinander zu unterscheiden, deren Programme werden einander immer ähnlicher, starke Persönlichkeiten (wie noch zu Zeiten eines Willy Brandt, Olof Palme oder Bruno Kreisky) sind einem austauschbaren Politikertypus gewichen. Momentan ist der junge, sportliche, stets unverbindlich lächelnde Volkstümler gefragt. Tony Blair, Gerhard Schröder, Viktor Klima, das rosa Triumvirat des vereinten Europa ist die perfekte Imitation des transatlantischen Blockbusters Bill Clinton.

Die in den USA entstandene Vermarktung von Politik greift nunmehr endgültig auf Europa über, mittlerweile zählen etliche der Spin-doctors, wie die amerikanischen Politikberater heißen, auch europäische Parteien zu ihrer Klientel.

Das Fatale an dieser Entwicklung ist nicht die Wechselwirkung zwischen Politik und Theater - diese kann durchaus befruchtend sein - sondern eine Verschmelzung der beiden zu einem konturlosen Zwitterwesen.

Event-Politik Meyer beschreibt einzelne Stadien dieser Entwicklung und beleuchtet sie von verschiedenen Aspekten, zur Sprache kommen Heldentypen und Imagepolitik ebenso wie symbolische Scheinpolitik, neue Rationalität und Irrationalität, Event-Politik und Darstellungsformen der Macht.

Seine Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt auffallend neutral, in einer sehr kühlen, technokratischen Weise. Bei aller Wissenschaftlichkeit wird dem Leser aber leider weder Namens- noch Sachregister angeboten, und auch die Literaturnachweise lassen teilweise zu wünschen übrig.

Martina Kampmanns fotografische Studie "Augenblicke der Inszenierung" formal ein "Buch im Buch", wurde leider stiefmütterlich behandelt, den Leser verlangt es nach einer Lupe, um die winzigen Bildchen zu betrachten, aber leider ist die Auflösung der ansonsten ganz interessanten Fotos so gering, daß man über deren Details nur Vermutungen anstellen kann.

Aber trotz dieser Schönheitsfehler gewährt Meyer einen interessanten und im allgemeinen wissenschaftlich fundierten Blick hinter die Kulissen. politischen Theaters und regt dazu an, sich mit Sein und Schein des Tagesgeschehens auf der Regierungsbühne auseinanderzusetzen.

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