7122354-1996_42_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Begriff „Rasse” ist unhaltbar

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Tage, nachdem Wolfgang Bachmayer zurückgetreten war, schlug auch einer umstrittenen Ausstellung des Naturhistorischen Museums in Wien die letzte Stunde: Der Schau im sogenannten Rassensaal, wo der „nordische Typ” als die höchstentwickelte Form des Menschen präsentiert wurde, liege die selbe Rassendefini-tion zugrunde wie den Nürnberger Rassengesetzen, erkärte der Anthropologe Horst Seidler, Vorstand des Instituts für I lumanbiologie an der Universität Wien, in einem Gutachten. Aufgrund dieser Stellungnahme ließ die zuständige Ministerin Elisabeth Gehrer die Ausstellung schließen.

In seinem vierbändigen Werk „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen” erklärte Joseph Arthur Comte de Gobineau Mitte des vorigen Jahrhunderts den Re-griff „Rasse” zum zentralen Regriff der Geschichte. Schon der französi-che Graf behauptete die Überlegenheit der „arischen Rasse” über alle anderen. Zur Jahrhundertwende waren Rassentheorien im gesamten deutschsprachigen Raum weit verbreitet. Im Völkertigel Wien hetzten Guido von List, Lanz von Liebenfels und der Parteiführer der Alldeutschen, Georg Ritter von Schönerer, gegen „fremdrassige Elemente”. Egon von Eickstädt und Eugen Fischer formulierten in der zwanziger Jahren jene Rassendefinitionen, die zur Grundlage des nationalsozialistischen Rassenwahns wurden, der Millionen Todesopfer forderte: Rassen seien Gruppen von Menschen, die sich auf erblicher Grundlage in Merkmalen der Gestalt und des seelischgeistigen So-seins unterschieden.

Nach dem heutigen Stand des Wissens ist eine solche Definition nicht mehr haltbar. Forschungen haben ergeben, daß die genetischen Unterschiede innerhalb von Ethni-en größer sind als der Unterschied zwischen zwei verschiedenen Eth-nien. Die Unterschiede zwischen den Europäern sind zum Reispiel größer als der gemeinsame Unterschied zu den Afrikanern. In den Schriften zeitgenössischer seriöser Forscher wird der Begriff der Rasse nicht mehr verwendet. Den äußerlichen Merkmalen wird mit dem Begriff „Ethnie” Genüge getan, Äußere Merkmale wie Haaroder Hautfarbe sind lediglich „Dokumente aus unserer Entwicklungsgeschichte” und haben keine weitere Bedeutung, erklärt Horst Seidler. Den Glauben, daß es einen Zusammenhang zwischen äußeren Merkmalen und geistigen Eigenschaften gebe, verweist auch der Ethologe Kurt Kotrschal in das „Reich der Mythen”. Jene amerikanische Untersuchung zum Beispiel, die Schwarzen einen geringeren Intelligenzquotienten als Weißen attestierte („ The Bell Curve”), lasse Umwelteinflüsse - wie die soziale Herkunft — völlig außer acht und sei damit wissenschaftlich irrelevant. M. K zwischen den möglich. „Ich nicht, wie man so einen Unsinn glauben kann”, schüttelt er den Kopf.

Für die oft verblüffenden Ähnlichkeiten zwischen menschlichem und tierischem Verhalten hat Rathmayr eine einfache Erklärung: Da der Mensch von seiner Abstammung her ein Primat sei, ähnelten sich die Physiognomien der Menschen und ihrer tierischen Verwandten: „Ein Gesicht läßt nur bestimmte Bewegungen zu. Wenn ein Menschenaffe für uns traurig aussieht, heißt das deshalb noch lange nicht, daß er auch wirklich traurig ist”, behauptet der Innsbrucker Dozent.

Die menschlichen Handlungsweisen sind für Rathmayr historischen und nicht entwicklungsgeschichtlichen Ursprungs. Ein Kuß zum Beispiel ist für die Verhaltensforschung eine Abwandlung des Mund-zu-Mund-Fütterns, das schon bei Tieren zur Pflege der sozialen Kontakte dient; Schimpansen begrüßen sich mit einem Kuß auf die Lippen - ohne Übergabe von Nahrung. Für den Erziehungswissenschaftler hingegen geht der Kuß - zumindest in unserer Kultur - auf eine mittelalterliche Friedensgeste zurück. Eifersucht sei überhaupt erst „eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft des späten 17. Jahrhunderts”, meint Rathmayr.

Ein Blick in die Geisteswelt des Altertums zeigt: Der griechische König Menelaos zettelte der Sage nach den trojanischen Krieg an, weil der Trojaner Paris seine geliebte Frau Helena entführte; daß Eifersucht den Ehemann in Wut bringt, wußte auch schon die Bibel (das Buch der Sprichwörter 6,34)... Sicher, der Gedanke, daß der Mensch sich und seine Kultur aus sich alleine heraus schafft, ist faszinierend — doch entspricht dies den Tatsachen? Georg Kotrschal: „Mir geht es darum, Muster in der Welt zu erkennen, und nicht der Natur mein Ayunschdenken aufzuzwingen.” c

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung