6702001-1963_35_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Augenzeugen sprechen

Werbung
Werbung
Werbung

Dieser Bericht Kaltenbrunners dürfte in engem Zusammenhang stehen mit den schon 1943 in den höchsten Parteispitzen erörterten Änderungsvorschlägen, die hauptsächlich um die Person des Wiener Reichsstatthalters Baldur von Schirach und des Gauleiters und Reichsstatthalters von Niederdonau, Dr. Hugo Jury, kreisten. Ein diesbezüglich aufgefundener Briefwechsel der sogenannten Parteikanzlei konnte als ergänzendes Dokument zur Vorgeschichte des 20. Juli 1944 in Österreich gewertet werden, da die offenkundig gut informierten Partei- und Sicherheitsdienststellen die Mißstimmung der Bevölkerung merkten und durch einen Wechsel an der Spitze der beiden Reichsgaue Wien und Niederdonau eine Besserung der Lage erwarteten.

Der Kodre-Bericht

Die eigentlichen Aussagen über die am 20. Juli 1944 aktiv oder passiv beteiligten Angehörigen des Wehrkreises XVII (Wien) waren bisher auf den schon erwähnten Szokoll-Bericht beschränkt. Erfreulicherweise ist es gelungen, den Chef des Generalstabes im Wehrkreis XVII, Oberst im Generalstab Heinrich Kodre, im Juni 1961 zunächst im Rahmen einer Befragung des Historischen Instituts der Universität Wien zu ergänzenden und erläuternden Angaben zu bitten, welche in einer ausführlichen, auf Tonband aufgenommenen Aussage aus dem Jahr 1962 ihre Vervollständigung fanden. Der zusammengefaßte Kodre-Bericht gab Einblick in die Vorgänge im Gebäude des Wehrkreises XVK, dem ehemaligen k. u. k. Kriegsministerium, in Wien in den entscheidenden Stunden des 20. Juli 1944. Dieser nachträgliche und aus der Erinnerung verfaßte Bericht des mit der ganzen Verantwortung zunächst belasteten höchsten Offiziers — der übrigens persönlich in Kontakt mit den in die Verschwörung eingeweihten Offizieren, Hauptmann i. G. Szokoll und Oberstleutnant i. G. Bernardis, stand — ist eine Darstellung eines mit den politischen Hintergründen nicht vertrauten, später allerdings dann politisch verfolgten Offiziers.

Durch Zufall fand sich aber anläßlich einer Tagung in Melk im Jahre 1961 in der Person von Oberschulrat Fritz Bollhammer, dem Ordonnanzoffi-

zier beim Generalkommando XVII, ein Mann, welcher in unmittelbarer Umgebung von Kodre und Szokoll in Ausführung der gegebenen Befehle das gesamte Geschehen in Wien erlebte. Hauptmann a. D. Bollhammer, der von Oktober 1941 bis April 1945 als Ordonnanzoffizier beim Befehlshaber im Wehrkreis XVII und beim Chef des Stabes diente, mußte über Befehl des Generals der Infanterie Albrecht Schubert eine Erinnerungsniederschrift verfassen, welche die Vorgänge in der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1944 zum Inhalt hatte. Diese Niederschrift wurde am 24. Juli 1944 begonnen und am 29. Juli beendet. Sie diente offenkundig dem kommandierenden General als Rechtfertigung gegenüber höheren

Dienststellen. Das Original hat sich in den bisher aufgetauchten Akten zum vorliegenden Thema nicht gefunden, jedoch stellte Herr OberschulrarBollhammer dankenswerterweise eine Abschrift zur Verfügung. Diese B o ll- hammer - Niederschrift war die dritte und in mancher Hinsicht wichtigste Quelle zu unserem Thema.

Akten fehlen

Leider fanden sich bisher keinerlei Aktenstücke oder Aussagen über die Auswirkungen der Ereignisse des 20. Juli bei den nachgeordneten militärischen Dienststellen des Dritten Reiches in Österreich. Möglicherweise kann bei der Aufarbeitung der noch im Besitz der Armee der Vereinigten Staaten befindlichen deutschen Aktenbestände militärischer Herkunft mit der einen oder anderen Quelle gerechnet werden.

Heranzuziehen waren aber auch unter mühsamer Sucharbeit die politischen Voraussetzungen und die daraus resultierenden Pläne der Männer des 20. Juli, soweit sie Österreich betrafen. Hier erwies es sich als notwendig, nicht nur die bisher veröffentlichten Pläne, vor allem die Goerdelers, zur Neugestaltung des Reiches zu untersuchen, sondern auch darauf hinzuweisen, daß in den Kreisen der österreichischen Emigration der verschiedensten Lager für den Fall eines schon sehr früh erwarteten Umsturzversuches innerhalb des Reiches konkrete Pläne zur Neugestaltung Österreichs bestanden. Wie weit sich diese Pläne der Emigration auf die innerösterreichische Opposition auswirkten, läßt sich vorläufig noch sehr schwer auf- hellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung