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Ein Friedensrezept?

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Der Friede ist heute das größte Anliegen der Menschheit geworden. Dabei t es klar, daß die nun einmal aufgescheuchten Völker nicht von heute auf morgen zum Frieden gelangen können. Vielleicht gibt es zu viele Vorfragen; es schattet noch die jüngste Vergangenheit herein.

Da liegt nun ein Buch aus Amerika vor, das. mit den höchsten Superlativen bedacht, nach der Mitteilung des Verlages „in einer Anzahl amerikanischer Universitäten und höherer Schulen als Lehrbuch angenommen worden ist. Studenten von mehr als sechzig Universitäten haben die Verbreitung seiner Ideen organisiert. In Hunderten von Kirchen war das Buch Gegenstand von Predigten“.

Die erste These dieses Buches spricht von einem Versage/i des Kapitalismus. „Wirtschaftliche Freiheit und das System des freien Spiels der Kräfte sind zum Bankrott getrieben worden durch primitive, irrige Vorstellungen von ungeregelter Freiheit und durch -politischen Nationalismus, durch nationalstaatliche Struktur.“ (Seite 51.) Der zweite Vorwurf trifft den Sozialismus. DeY Hauptgrund liege darin, daß „der politische Status quo, das besehende System souveräner Nationalstaaten — heute in gleicher Weise angenommen und aufrechterhalten von Kapitalisten und Sozialisten, Individualisten und Kollektivisten, allen nationalen uad religiösen Gruppen —, das unüberwindliche Hindernis für jeden Fortschritt bildet und allen sozialen und wirtschaftlichen Bestrebungen, jedem menschlichen Konflikt auf allen Gebieten den Weg versperrt“. (S. 75.)

Das Versagen des Christentums als zivilisierende Macht sei eine „entsetzliche Tragödie“, denn auch dieses sei in jeder Form dem Nationalismus verfallen. Zwar wird der christliche Einfluß auf die moderne Demokratie nicht geleugnet, -aber das Christentum habe seinen universalistischen Gedanken verloren und sei einerseits zu einem „zentralisierten Absolutismus entartet, auf der anderen Seite zu immer weiter getrennten Sekten und Abarten“ aufgespalten worden.

Das Problem des Friedens ist nach Emery Reves ein soziales und politisches, nicht ein technisches Problem. Darum könne dieser nur auf einem Weg erreicht werden. Der Verfasser nennt dieses Allheilmittel die Integration der zerstreuten, miteinander in Konflikt stehenden nationalen Souveränitäten in eine vereinte, höhere Souveränität,

* Europa-Verlag, Zürich 1947. die fähig ist, eine gesetzliche Ordnung aufzurichten, innerhalb derer alle Völker gleiche Sicherheit genießen könneri und unter Recht und Gesetz gleiche Pflichten und gleiche Rechte haben. Dazu bedürfe es einer neuen allumfassenden Weltregierung.

In diesem Sinne lehnt Reves als irrige Begriffe sowohl den Internationalismus mit allen Erscheinungsformen ebenso wie die Selbstbestimmung der Nation als auch die kollektive Sicherheit ab. Als den einzigen Ausweg bezeichnet also das mit Trompetenschall angekündigte Buch das Bestehen einer ,.wirksamen universalen Regierungsorganisation“ und in einer „erzwingbaren gesetzlichen Ordnung, welche alle Nationen verpflichtet und unter einem gesicherten. Rechtssystem allen Staatsbürgern gleiche Rechte gewährt und gleiche Pflichten auferlegt“. '

Zur Verwirklichung dieser Forderungen erscheint dem Autor nichts fruchtloser, als ausführliche Pläne auszuarbeiten und Entwürfe für eine Verfassungsurkunde einer Weltregierung vorzubereiten. Sie sollen vielmehr durch die Propaganda in Zeitungen, Kinos und Radio von Männern erreicht werden, die von Kirchen und politischen Parteien gelernt haben, wie man für Ideen Propaganda machen und wie man eine schlagkräftige Organisation hinter eine Idee aufbauen kann. Welche Idee den Autor bewegt, dieses Geständnis ist wohl das Erschüttertste in diesem Buch:

..Nach einem unheilvollen halben Jahrhundert des Antirationalismus, beherrscht vom Mystizismus, transzendentalen Gefühlsüberschwang und sogenannter Intuition, müssen wir zu dem verlorenen Pfad des Rationalismus zurückfinden, wenn wir den völ'igen Untergang unserer Zivilisation zu verhüten wünschen.“ (Seite 260.)

Der Autor nennt dieses Streben „einen neuen Glauben“ (Seite 275), für den wir zu kämpfen haben.

Man ist nur noch geneigt, zu fragen: Welcher Gott wird noch neben den vielen Göttern auf dem Altar der Menschheit zur Anbetung hingestellt, nachdem sie den wahren und einzigen verloren hat? Sind nicht die Götter des Sensualiä.nus, Pragmatismus und Rationalismus die Ahnväter der heute zerbrochenen Menschheit?

Albert Einstein soll das Buch „die Antwort auf die Atombombe“ genannt haben. Hier hat wohl Seipel in seinen letzten öffentlichen Vorlesungen an der Wiener Universität viel tiefer gesehen, als er den Frieden als „sittliches Problem“ bezeichnete und die Bergpredigt zum Ausgangspunkt seiner Darlegungen machte. Es wird immer bis zu einem gewissen Grad von den Bemühungen und dem guten Willen der Menschen abhängen, wie lange eine Friedenszeit dauert. Man kann 6ogar einen Teil der

Menschheit mit der Drohung der Macht vor dem Krieg niederhalten. Aber alle diese Mittel sind nicht befähigt, den verderbten Willen aus den Herzen der Menschen auszurotten, solange diese nicht ihre Gesinnung geändert haben. Und daran muß auch aller Wille, den Frieden mit Machtmitteln zu sichern und auf Dauer zu befestigen, scheitern. Wenn dies auch in den Zeiten lebendigen Christentums nicht immer möglich war, so liegt es nicht in der Lehre und Persönlichkeit Christi, sondern in der Haltung derer, die seinen Worten und seinem Beispiele nicht folgten.

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