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PIERRE PFLIMLIN / FÜR DAS GANZE EUROPA

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Mit der Wahl des neuen Präsidenten der Konsultativversammlung hatte der Europarat eine demonstrative Geste gesetzt: Zum Nachfolger des dänischen Liberalen Per Federspiel wurde der sieben-undfünfzigjährige Rechtsanwalt und Oberbürgermeister von Straßburg, Pierre Pfllmlin, gewählt. Die Wahl Pflimlins stellt zweifellos eine Quittung für. die Buropapolitik de Gaulles dar, die freilich nicht die Zustimmung der Straflburger Ver-

sammlung finden kann. Der neue Präsident gilt als erklärter Gegner der Vorherrschaftspolitik de Gaulles.

Geboren in Roubaix am 5. Fe-bruar 1907, studierte Pierre Pfllmlin die Rechte, um den Beruf eines Anwaltes auszuüben. Politische Interessen traten bei dem jungen Anwalt zunächst nicht hervor, wohl aber beschäftigte er sich mit wirtschaftlichen Problemen, vor allem denen des Elsaß, der ihm zur zweiten Heimat werden sollte. Bereits 1932 erschien aus seiner Feder eine kritische Untersuchung über die Industrie Mühlhausens, 3938 eine überaus genaue Studie der Wirtschaftsstruktur des Dritten Reiches, die sich besonders mit der Ankurbelung der Wirtschaft durch gelenkte Rüstungsaufträge und den daraus für Frankreich, besonders für Elsaß-Lothringen resultierenden Wirkungen beschäftigt.

Der letzte Schritt zur Politik erfolgte 1945. Pflimlin, damals einer der treuesten Gefolgsmänner de Gaulles, zog in die französische Deputiertenkammer als Abgeordneter des Departments „Bas-Rhin“ ein. Waren es vor dem Krieg vor allem wirtschaftliche Probleme, die ihn fesselten, so widmete sich der Abgeordnete nun vor allem dem Wiederaufbau der durch den Krieg

innerhalb weniger Jahrzehnte zum zweitenmal fast völlig verwüsteten französischen Landwirtschaft. Die 1947 erfolgte Ernennung zum Landwirtschaftsminister machte es Pflimlin möglich, an eine grundlegende Erneuerung von Frankreichs Ackerbau und Viehzucht heranzutreten. Pflimlin verfolgte bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahre 1951 eine Politik, die einen stetig steigenden Export landwirtschaftlicher Produkte zum Ziel hatte. Die Ausweitung dieser klugen Politik auf europäische Ebene schließlich führte ein Jahr später zur Gründung des „Grünen Blocks“. Der „Grüne Block“ sammelte die landwirtschaftlichen Märkte Europas und vereinigte sie zu einem einzigen großen Handels- und Umschlagplatz der landwirtschaftlichen Produkte der Mitgliedsländer.

Nach einigen Jahren der Ruhe wurde Pflimlin mit dem Posten des Finanz- und Wirtschaftsministers betraut. In seiner Amtszeit in den Jahren 1955 und 1956, erließ er eine Anzahl von Verordnungen, die das wirtschaftliche Leben auf regier naler, also föderativer, nicht zen-tralistischer Basis regelten. 1958 allerdings wurde aus dem Wirtschaftsfachmann plötzlich der Ministerpräsident der letzte der vierten Rupublik... De Gaulle

holte ihn als Staatsminlster in sein Kabinett, dem er von Juni 195i bis Jänner 1959 angehörte. Im April 1962 noch einmal in die Regierung berufen, trat Pflimlin schon nach einem Monat zurück. Der Kurs, den der Regierungschef eingeschlagen hatte, stimmte mit der von Pflimlin und seinen Freunden vom MRP konzipierten Auffassung europäischer Politik nicht mehr überein.

Pfllmlin, bereits seit 1959 Oberbürgermeister von Straßburg, widmete sich nun ganz Elsaß-Lothringen, wovon sein jüngstes Buch „Elsaß - Schicksal und Wille“ wohl am besten Zeugnis gibt.

Der Ruf auf den Sessel des Präsidenten der Straßburger Versammlung brachte ihn wieder mit weltweiter Politik in Kontakt — in einer Zeit, in der der Europarat die Chance hat, als Vermittler eine gefährliche Spaltung Europas zu verhindern.

Pierre Pflimlin hat sich auch stets als Freund Österreichs und seiner speziellen Probleme erwiesen. Seit er im Herbst 1957 als Gast des fünften Weltkongresses katholischer Journalisten Österreich besuchte, verbinden ihn mit unserem Land besonders freundschaftliche Bande.

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