6739622-1966_36_06.jpg
Digital In Arbeit

Pflimlin störte die Ruhe

Werbung
Werbung
Werbung

Dieser so gepflegte Stil der Augusttage wurde von einem Mann empfindlich gestört, der lange Zeit hindurch als eine politische Hoffnung Frankreichs galt. Der Bürgermeister von Straßburg, Pierre Pflimlin, brach plötzlich das Schweigen und nahm so eindeutig Stellung, daß seine Haltung selbst in La Baule und Saint Tropez Aufsehen erregte. Pflimlin hatte das zu betonte parlamentarische Regime der vierten Republik beerdigt. Als der letzte Ministerpräsident war er gezwungen, dem Aufstand der algerischen weißen Siedler und der neofaschistischen Oberste nach dem 13. Mai 1958 zu begegnen. Es gehörte bedeutende staatsmännische Kunst dazu, dieses drohende Schicksal abzuwenden.

Unter Hintansetzung aller persön- ; liehen Interessen, gelang es dem ( Ministerpräsidenten buchstäblich in ' letzter Minute, den Bürgerkrieg zu 1 bannen. Denken wir doch daran, daß ' der Plan „Resurrection“, von der rebellischen Armee in Algerien und im Mutterland ausgearbeitet, die 1 Landung von Fallschirmjägern über Paris vorsah, jene berühmten Paras, e die zum Mythos des Aufstandes ge- j worden waren.

In einem überaus dramatischen i Nachtgespräch zwischen de Gaulle und Pflimlin konnte diese Entscheidüng der Waffen aufgehalten werden. Die Machtübernahme durch de \ ; Gaulle, der die fünfte Republik begründete, erfolgte schließlich unter strenger Wahrung aller verfassungsmäßigen Grundsätze. Pflimlin darf für sich in Anspruch nehmen, diesen Übergang in Ruhe mitvorbereitet zu haben. Gleichzeitig erkannte jedoch der damalige Ministerpräsident, wohin unstabile politische Verhältnisse eine Nation führen. Die Ereignisse des Mai 1958 zwangen ihn, künftighin alle jene Maßnahmen oder Schritte zu verurteilen, die zu einer Schwächung der staatlichen Autorität beitragen. Diese bedeutende Persönlichkeit scheint in dieser Hinsicht von einem Trauma befallen zu sein.

Eine profilierte Persönlichkeit!

Pierre Pflimlin diente seinem Lande dreizehnmal als Minister. Im besonderen übernahm er die Ressorts für Landwirtschaft und Finanzen. Er wurde international bekannt als Schöpfer des sogenannten „Grünen Planes“, also der Vorstufe für den vor kurzem gegründeten gemeinsamen Agrarmarkt. Pflimlin hat diese landwirtschaftliche Europäische

Union entscheidend gefördert. Seinem Beruf nach Rechtsanwalt, bestimmte er die Geschicke der katholischen Volksrepublikaner

(MRP) als Präsident von 1956 bis 1959 und ist der traditionellen Form der christlichen Demokratie besonders eng verbunden. Er ist auch einer der brillantesten Redner des französischen Parlamentes und leitete 1963 bis 1964 die beratende Versammlung des- Europarates. Besondere Verdienste erwarb er sich als Bürgermeister von Straßburg und Sprecher seiner elsässischen Heimat in Paris, die gerade in jüngster Zeit mit wirtschaftlichen, regionalbedingten Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

Die Bürgermeister der großen französischen Provinzstädte, wie Lyon, Bordeaux, Nizza oder Marseille, spielen weit über ihren Bereich eine nationale Rolle, sobald sich der Stadtvater als Persönlichkeit erweist Daher wurden in den letzten Monaten verschiedene Versuche unternommen, diese Bürgermeister in einer leicht anti-gaullistischen Fronde zu sammeln. Allerdings scheiterten diese Bestrebungen an dem zu starken Individualismus des Staatsoberhauptes und an dem bekannten Nein des profilierten Bürgermeisters von Straßburg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung