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GASTON MONNERVILLE/DECKNAME SAINT-JUST

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WelcUen Weg die Fünfte Republik auch einschlagen wird, an Caston Monnerville scheint sie nicht vorbeizukommen. Zwar mißt sie dem Amt des Senatspräsidenten, dem zweiten Mann im Staate, kein besonderes politisches Gewicht bei. Ihre Verfassungswirklichkeit lief! ihn eher zu einem bloßen Hüter demokratischer Formen werden-, in dem Maße, da sich der Staatschef seiner Schiedsrichterrolle entledigte, vielleicht sogar zu dem eigentlichen Zensor guter demokratischer Sitten. Aber Mon-nervilles Name erhielt zum erstenmal jähe und breiteste Aktualität, als sich die Öffentlichkeit im Gefolge der Attentate auf den Staats-

präsidenten mit dem Gedanken zu befassen begann, was eigentlich geschehen würde, wenn... Die Verfassung ist hier eindeutig: Im Falle eines plötzlichen Todes des Staatspräsidenten würden seine Funktionen automatisch an den Präsidenten des Senats übergehen.

Ein zweites Mal geriet Monnerville in den Brennpunkt der Aktualität, als er sich mit der ganzen Kraft seines Amtes und seiner persönlichen Integrität der Form und dem Inhalt der Verfassungsreform des Staatspräsidenten entgegenwarf. Zwar könnten seine Gegner in diesen beiden Situationen nicht von größerer Gegensätzlichkeit sein — für Gaston Monnerville bleibt die Aufgabe stets dieselbe: die Bewahrung der Republik.

Ist er nicht ihr dankbarstes Kind? Das republikanische Postulat der Gleichheit, wer könnte es ernster nehmen als Gaston Monnerville, der schwarze Sohn Frankreichs aus Guayana, der hochbegabte Sproß einer kleinen Funktionärsfamilie, dem ein Staatsstipendium mit 15 Jahren die Möglichkeit zu einem glänzenden Studium in Toulouse eröffnete. Er hat es oft genug gesagt: „Ich werde mein ganzes Leben lang eine tiefe Dankbarkeit für die Zweite Republik bewahren, jene von 1848. Denn sie hat zwei hauptsächliche Entscheidungen gefällt: das allgemeine Wahlrecht und die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien.“

Die hervorragende rednerische Begabung, die Monnerville zu raschen und spektakulären Erfolgen als Anwalt verhalf, ebnete ihm auch den Weg in das Parlament der Dritten Republik, dem er von 3 932 an als Abgeordneter von Guayana und Mitglied der Radikalen Partei angehörte. Schon damals bewies er Mut, als er am 6. Februar 1934 dem beim Verlassen der Deputtertenkautmer von randalierenden Elementen angegriffenen Präsidenten Herriot zu Hilfe eilte. 1938 wählte ihn die Radikale Partei als Stellvertreter Herriots zum Vizepräsidenten; er ist dieser politischen Gruppe bis heute treu geblieben.

Da er bei Kriegsausbruch als Parlamentarier im Alter von 42 Jahren nicht mehr mobilisiert werden durfte, meldete er sich als Freiwilliger bei der Marine. Jenen fatalen und vernichtenden Angriff der Engländer vom 3. Juli 1940 auf das bei Mers-el-Kebir liegende französische Geschwader — „einer jener düsteren Impulse, durch die der gestaute Instinkt dieses Volkes manchmal alle Schranken durchbricht“, wie sich de Gaulle ausdrückte —, diesen Angriff erlebte Monnerville an Bord des Panzerkreuzers „Provence“. Nach seiner Demobilisierung begab er sich rasch in Oppositionsstellung zur Vichy-Re-gierung und schloß sich bald darauf der Resistance an. Unter dem Decknamen Saint-Just kämpfte er

als F.-F.-I.-Kommandant bis zum Oktober 1944 im französischen Zentralmassiv.

Nach Kriegsende fand sich Gaston Monnerville schnell ins parlamentarische Leben zurück. Im Jänner 1946 vertraf er Frankreich in der ersten UNO-Session in London. Im März 1947 wurde er zum Präsidenten des Rates der Republik gewählt, ein Amt, das ihm in der Folge ohne Unterbruch anvertraut blieb und das er nach der Verfassungsreform de Gaulles im Oktober 1958 als Präsident des Senates fortführte.

Das ist also der Mann, der sich anläßlich des Kongresses der Radikalen Partei vom 30. September in Vichy in einer unerhört scharfen Rede an die Spitze der Opposition gegen die Verfassungspläne de Gaulles gestellt hat: eine Verkörperung brüderlicher Gleichheit, kampfbereiten Freiheitsdurstes und parlamentarischer Demokratie.

Er durfte sich nicht wundern, daß ihn der Staatspräsident nach dem Sturz der Regierung der Ordnung entsprechend zu einer Unterredung empfing, deren Dauer vielleicht als die „Audienz der 100 Sekunden“ in die Geschichte des Elysie-Palastes eingehen wird; sie beanspruchte gerade die Zeit, den Präsidenten des Senats formell von der Auflösung des Parlaments in Kenntnis zu setzen und durch den Türhüter hinausgeleiten zu lassen.

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