"Soziales Netzwerk als Armutsbekämpfung"

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Welche Faktoren die positive Entwicklung von Kindern auch unter widrigsten Umständen ermöglichen: Neue Ergebnisse der Resilienzforschung.

Antje Richter ist Resilienzforscherin auf der Universität Thüringen und Co-Autorin des "Handbuch Armut in Österreich". Sie forscht nach sozialen und psychischen Bewältigungsmustern gegen Armut.

Die Furche: Sie forschen nach Faktoren, die Kinder Armut oder soziale Benachteiligung besser verarbeiten lassen . Welche Maßnahmen sind das?

Antje Richter: Generell muss man sagen, dass soziale Ausgrenzung durch Armut oft dazu führt, dass sich die Betroffenen zurückziehen und von der Umwelt abkapseln. Das ist sehr schädlich für die soziale Entwicklung. Um bei Kindern eine Art Chancengleichheit herzustellen, sind deshalb Maßnahmen wichtig, die die gesundheitliche, kulturelle und soziale Integration fördern. Das beginnt bei einer gesunden Ernährung in der Schule und reicht bis zu einer kostenlosen Mitgliedschaft bei Sportvereinen oder auch die kostenlose Teilnahme an Schulausflügen.

Die Furche: Welche Rolle spielt die Familie?

Richter: In den ersten Studien zum Thema Resilienz in den USA hat sich gezeigt, dass sich Kinder mit einem verfügbaren sozialen Netz auch unter schwierigen äußeren Umständen gut entwickelten. Das bedeutet etwa, eine funktionierende Familie zu haben oder eine ältere Bezugsperson und einen aktiven Freundeskreis. Auch die spielerische Entwicklung im Sport kann dazu beitragen, schädliche Faktoren zu überwinden.

Die Furche: Mehr als 50 Jahre hat es gebraucht, bis das Thema jetzt das Cover des "Spiegel" erobert hat.

Richter: Trotzdem hat es in Deutschland diese Studien schon lange gegeben, gerade was Armut betrifft. Ich denke da an eine Langzeitstudie in Mannheim, die einen bestimmten Jahrgang untersucht hat. Die Ergebnisse haben sich eben nicht immer in der Politik und den Medien wiedergefunden, und entsprechend auch nicht in sozialpolitischen Programmen.

Die Furche: Es gibt demnach gar keine gesetzlichen Umsetzungen solcher Forschungsansätze?

Richter: Nein. Aber es gibt Kommunen, die sich schon früh damit auseinandergesetzt haben. Gezielte Programme hat beispielsweise die Stadt Dormagen in Nordrheinwestfalen umgesetzt.

Die Furche: Was hat man dort konkret getan?

Richter: Vor 12 Jahren hat die Stadtregierung beschlossen, ihr gesamtes Budget umzustrukturieren zugunsten einer intensiven Beratungs-, Betreuungs- und Bildungsstruktur. Das beginnt schon bei der Geburt eines Kindes. Die Eltern bekommen sofort einen Besuch von Betreuern, die auf das Beratungsangebot im Krisenfall hinweisen. Das reicht von der persönlichen Beratung für die Eltern bis zur Ganztagesbetreuung in Kinderkrippen. Ein anderer Teil des Budgets wurde verwendet, um ein ganztägiges Schulangebot zu schaffen, in dem auf die Förderung von Kindern mit Lerndefiziten großer Wert gelegt wird. Das führt nun dazu, dass Dormagen die Zahl jener Kinder massiv senken konnte, die nach der Volksschule in die Sonderschule gehen müssen.

Die Furche: Und wie hoch sind die Kosten des Systems?

Richter: Die Gesamtausgaben der Stadt für Jugend und Familie sind gleich geblieben. Andere Kommunen senkten im gleichen Zeitraum ihre Investitionen stark.

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