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Der Kongreß der 1,6 Millionen

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Vom 25. bis 29. September findet in Wien der 6. Bundeskongreß des österreichischen Gewerkschaftsbundes statt. Dieses Ereignis wird für hohe Vertreter des Staates, anderer Berufsorganisationen, aber auch der Kirche Anlaß sein, die Gewerkschaften als wichtige Elemente einer demokratischen Gesellschaft zu bestätigen und ihre Wirksamkeit zumindest prinzipiell zu begrüßen.

Solche Anerkennung ist allerdings auch heute noch nicht allgemein. Zuweilen hört man die empörte Frage, woher der Gewerkschaftsbund — schließlich sei er rechtlich nicht mehr als ein Verein — seinen Anspruch auf Mitbestimmung im sozialen und wirtschaftlichen Bereich ableite. Dieser Verein zählt nun immerhin fast 1,6 Millionen Mitglieder, oder rund zwei Drittel aller unselbständig Erwerbstätigen. Er kann mit Recht verlangen, als repräsentativ anerkannt zu werden und erhält dadurch, wie Neü-Breu-ning es nennt, einen quasi öffentlich-rechtlichen Charakter.

Der ÖGB hat aber aus dieser Konstellation nicht nur vermehrten Einfluß bezogen. Er versucht ebenso die damit verbundenen Verpflichtungen wahrzunehmen; das heißt, nicht nur als Interessenvertretung, sondern als staatstragender und stabilisierender Faktor zu agieren. Denken wir etwa an die Zeit nach dem 6. März 1966. War es wirklich selbstverständlich, daß der mehr-

heitlich sozialistische und von sozialistischen Politikern dominierte Gewerkschaftsbund eine relative Neutralität gegenüber der ÖVP-Regierung an den Tag legte? Oder daß er heuer die ungünstigere Wirtschaftslage in seiner Lohnpolitik berücksichtigte? Eine realistische Politik liegt zwar im Interesse der Mitglieder des ÖGB, sie könnte aber auch von der politischen Opportunität verdrängt werden. Der überparteiliche Gewerkschaftsbund hat somit nach mehr als zwanzigjährigem Bestehen eigentlich erst in den letzten Monaten seine politische Krisenfestigkeit bewiesen. Er ist eine Brücke, durch die das Gespräch zwischen den beiden großen Parteien institutionalisiert wurde.

Was ist nun von einem Kongreß, wie er alle vier Jahre stattfindet, zu erwarten? Keine revolutionierenden Entschließungen, alber doch interessante Akzentuierungen. Schließlich wird diese Veranstaltung, wie bei anderen Organisationen auch, eine Gelegenheit zur Selbstbestätigung sein. Dabei trifft es sich gut, daß gerade vor hundert Jahren in Österreich die Vereins- und Versammlungsfreiheit proklamiert und damit die Voraussetzung für die Entwicklung eines demokratischen Staatswesens geschaffen worden ist.

Neue Aspekte: Seit geraumer Zeit spricht und schreibt man in Gewerkschaftskreisen von der Ver-mögensbüdung in Arbeiterhand. Bis

vor kurzem galt diese Idee dort als sozialreaktionär, als eine angeblich von den Unternehmern — diese waren über diesen Vorwurf sicher überrascht — gestellte Falle. Jahrelang haben sich nur die christlichen Gewerkschaften für die Erweiterung der traditionellen Lohnpolitik durch vermögensbildende Leistungen eingesetzt An erster Stelle Dr. Karl Kummer, der die beginnende Neuorientierung des Gewerkschaftsbundes noch miterleben durfte.

Im Bereich der Wirtschaftspolitik wird der ÖGB seinen Anspruch auf Mitbestimmung erneut betonen. Die momentane Konjunkturabschwä-cbung, der die Regierung mit einem beachtlichen „deficit spending“ entgegentrat, und die strukturelle Wachstumsproblematik, der man etwas hilflos und zögernd begegnet, sind auch für die leitenden Gewerkschaftsfunktionäre Anlaß zur Sorge. Man wird wahrscheinlich „Mehr Planung in der Wirtschaft“ fordern, Ohne sich auf Details festzulegen. Jedenfalls ist bemerkenswert, daß sich die innergewerkschaftliche Diskussion zur Zeit nur noch am Rande des Inflationsproblems annimmt. Man zielt auf erhöhtes Wachstom bei einer zumutbaren Inflationsrate ab. Dieses Konzept, das den Vorstellungen der anderen Sozialpartner wie auch der Bundesregierung entsprechen dürfte, verlangt allerdings gewisse Kontrollmechanismen auf der Einkommensseite. Die Gewerkschaften werden jedoch irgendwelchen Lohnleitlinien wahrscheinlich nur dann zustimmen, wenn auch die Einkommen der Selbständigen adäquaten Beschränkungen unterworfen werden.

Der Kongreß dürfte nicht zum Tribunal, zu einem Forum der Abrechnung mit der ÖVP-Regierung werden. Das täte der Gewerkschaftsbewegung selbst, der immerhin eine wachsende Minorität christlicher Gewerkschafter angehört, am wenigsten gut Die christliche Fraktion, deren Meinungsverschiedenheiten mit dem ÖAAB offensichtlich nicht so tief sind wie es manche Leute gerne hätten, steht aus Anlaß des Kongresses auch im Mittelpunkt personeller Kombinationen. Ihren Vorsitzenden, Abg. Altenburger, würden manche schon gern als Pensionisten sehen, während dieser selbst offensichtlich wenig Lust auf den Ruhestand verspürt. Man ist auch nicht wählerisch mit Vorwürfen, auf die wir hier nicht eingehen wollen. Abg. Altenburger hat sicherlich einen Stil entwickelt, der nicht jedermann entsprechen muß. Aber er ist ein aufrechter Gewerkschafter mit einem beachtlichem Maß an Unabhängigkeit, der sich um seine Fraktion bemerkenswerte Verdienste erworben hat. So wird es wahrscheinlich insgesamt kaum Veränderungen in der Führungsspitze des ÖGB geben. Präsident Benyas Politik erscheint zwar manchen, sogar recht prominenten Gewerkschaftsfunktionären und natürlich den Kommunisten, zu „weich“. Er hat aber trotzdem — oder vielleicht gerade deswegen — viel erreicht. Seine Wiederwahl steht außer Zweifel.

Die Erfahrungen der mehr als 20 Jahre nach 1945 haben gezeigt und der Kongreß ist ein Anlaß, es wieder zu betonen: die Gründung eines gemeinsamen überparteilichen Gewerkschaftsfoundes stellte für unser Land die beste Lösung dar. Die Überparteilichkeit leidet zwar wegen mangelnder Einsicht vor allem in den mittleren und unteren Rängen der Mehrheitsfraktion nicht selten an Beklemmungen; aber die einzig mögliche Alternative, nämlich die Gründung von Richtungsgewerkschaften, wird unter den gegebenen Umständen von niemandem ernsthaft zur Diskussion gestellt. Der ÖGB ist eine festgefügte Organisation. Sein Kongreß hat daher auch keinen Anlaß, Kraftmeierei zu betreiben. Er wird sich auf die aktuellen Probleme der Arbeiter und Angestellten konzentrieren können.

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