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Die nächsten Belastungsproben

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Das spanische Kabinett wird in Zukunft aller Voraussicht nach einen weit stärkeren prononcierten politischen Charakter erhalten müssen, als das bisher der Fall war, solange die Regierungsverantwortung allein bei Franco lag. Zwar ist der Traum der Spanier, daß mit den Staatsreformen dieses Jahres auch die Parteienfreiheit wiederhergestellt werden würde, nicht erfüllt worden. Innenpolitisch wie außenpolitisch wird diese Tatsache sehr wahrscheinlich in der nächsten Zukunft noch zu mancherlei Belastungsproben führen, gerade darum wird allerdings auch der Posten des oder der Vizepräsidenten eine betonte politische Bedeutung erhalten. Es ist anzunehmen, daß General Franco, um den Forderungen des Landes auf einen

„politischen Pluralismus“ — so umschreibt man das Prinzip der Parteienbildung — nachzukommen, den zwei oder drei wichtigsten polltischen Gruppen innerhalb des Regimes eine mehr oder weniger ihrem effektiven Stärkeverhältnis entsprechende Vertretung im Kabinett einräumen und ihnen Vizepräsidentschaftsposten überlassen wird, um einen gewissen Ausgleich für die verweigerte Rückkehr zu einem freien polltischen Parteiensystem zu schaffen. Unter solchen Umständen würde ein Wechsel in der Vizepräsidentschaft unter allen Umständen akut geworden sein.

Bis auf weiteres

Das Ausscheiden von Munoz Grandes ist also nicht durch eine poditisehe Krise innerhalb der Regierung selber bedingt. Wahrscheinlich wird General Franco den Posten bis zur Umbildung seiner Regierung und der Trennung zwischen Staatsleitung und Regierungsführung durch Einsetzung eines verantwortlichen Ministerpräsidenten überhaupt unbesetzt lassen. Man hatte im Grunde allgemein angenommen, daß Mufioz Grandes bis dahin auch noch im Amt bleiben würde. Franco will aber offensichtlich den Eindruck vermeiden, daß die Bestimmungen der neuen Verfassung von der Regierung übergangen werden. Unter diesen Umständen kann der Rücktritt seines bisherigen Vizepräsidenten als ein Hinweis darauf betrachtet werden, daß auch die übrigen Reformen nicht auf unbestimmte Zeit hinausgezögert werden sollen. Die Berufung des Regierungschefs und die seit langem erwartete Neugestaltung des Kabinettes dürften aller Voraussicht nach zum Herbst erfolgen, wenn die politischen Ferien ihren Abschluß finden. Vielfach hatte man geglaubt, daß diese Regierungsumbildung zum Sommerbeginn erfolgen würde. Die Tatsache, daß vier der bisherigen Kabinettsumbildungen General Francos im Juli stattfanden, hat dabei natürlich eine Rolle gespielt. Aber in den politischen Oberschichten Madrids hatte man von vornherein mit einer Hinausschiebung der personellen Reformen bis zur Erledigung der wichtigsten Reformgesetze und bis zur Klärung der entscheidenden wirtschaftlichen Probleme gerechnet. Dazu gehört neben dem Anlauf der effektiven Verhandlungen Madrids mit der EWG vor allem die Wiederherstellung der Preis- und Lobnsta-bilität.

Spanien hat in den letzten Wochen eine ganze Reihe von Preiserhöhungen auf dem Gebiet der öffentlichen Dienste erlebt. Treibstoffe und Kraftstrom, Verkehrstarife und Wasser sind sehr fühlbar hinaufgesetzt worden. Manche dieser Erhöhungen sind berechtigt, und man hätte gut daran getan, bereits früher an Angleichungen heranzugehen, andere dagegen erscheinen wenig motiviert, wie die Verteuerung von Wasser und Licht. Die spanischen Zeitungen kritisieren auch sehr heftig die Erhöhung der Stromtarife, die angesichts der hohen Gewinne und Dividenden der Elektrizitätsgesellschaften auf schärfsten Widerstand stoßen mußten. Um so mehr, als gerade die Stromversorgung in zahlreichen Städten, vor allem in Madrid selber, eine unvorstellbar schlechte ist. Alle diese Erhöhungen werden aller Voraussicht nach im Herbst zu einer allgemeinen Lohnbewegung führen. Einzelne Minister haben auch bereits in konkreter Form einer Hinaufsetzung der staatlich festgesetzten Mindestlöhne zugesagt. Ob allerdings alle Industrien Spaniens in der Lage sein werden, ihre Löhne zu erhöhen, ohne ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt zu verlieren, ist ein anderes Problem. Schon heute halben eine ganze Reihe großer industrieller Unternehmen ihre Produktion senken müssen, und diese Bewegung wird sich bis zum Herbst und Winter weiterhin verstärken. Der Wirt-schaftstooom der letzten drei und vier Jahre ist erst einmal zum Stillstand gekommen. Der relativ kleine innere Markt ist saturiert und ein Absatz im Ausland ist auf einzelne Länder Lateinamerikas, Nordafrikas und des Ostblockes begrenzt, deren Zahlungsmöglichkeiten recht prekäre sind. Die Rückschläge, die hier unvermeidbar sind, werden auch sozial zur Auswirkung kommen, und die bevorstehenden Monate werden mancherlei innerliche Unruhe bringen, die durch Spannungen an den Universitäten noch verstärkt werden dürften. Für die neue Regierung und ihren Bestand wird es ausschlaggebend sein, daß sie nicht mit Irrtümern und Erbnachlässen belastet wird.

Es kriselt

Das ist im Grunde ein Bild, das für die Mehrzahl aller europäischen Länder Gültigkeit hat, es wird in Spanien jedoch durch die Probleme der Nachfolgschaftslösung und durch den Generationenstreit, der heute in der spanischen Kirche in Erscheinung tritt, kompliziert. Die Entführung der Madonna von Nuria, eines fast tausendjährigen Sanktuariums in den katalanischen Pyrenäen, bei dem junge rebellische Priester die Hand im Spiel hatten, die Demonstrationen junger Geistlicher in Barcelona, die entgegen dem ausdrücklichen Verlbot ihres Erzbischofs vor dessen Residenz aufmarschierten, deuten auf Wandlungsiprozesse hin, die in der Kirch! und im Klerus Spaniens im Gang« sind und von denen man noch nich weiß, ob sie nur sozialpolitische] Natur sind oder tiefer in das Weser der Kirche und des Glaubens Spa niens hinein greifen. Soziale Unzufriedenheit und ein geistig-politischer Kampf um die Struktur des Staates und die Nachfolgeschaft könnten unter solchen Umständen zu Explosivstoffen werden, obgleich die breiten Massen politischen Experimenten gegenüber abgeneigt sind. Aber die von Franco geplante Rückkehr der Bourbonen auf den spanischen Thron hat im Volk wenig Anhänger und das Nichtvorhandensein von Parteien erschwert die politische Orientierung des Durchschnittsspaniers, der nicht weiß, wie er ohne festumrissene Parteigrundsätze seine politischen Fronten abstecken soll.

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