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Die Ursachen der Not

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sind:

Einmal die Tatsache, daß in den Augen des Volkes die Arbeiterbewegung nicht mehr den Charakter einer Volksbewegung hat. Das, was man heute, geradezu versehentlich, christliche Arbeiterbewegung nennt, wurde 1945 gleichsam eingesetzt und war vorweg gesichert, von „oben“ geschaffen; ist also ohne Kampf geworden. An die Stelle der klassischen Arbeiterbewegung, die gewachsen war, ist die „gesicherte“ getreten, die da und dort hoheitlichen Charakter hat und für „Ruhe und Ordnung“, das heißt für die Erhaltung des gegenwärtigen (auch des sozialen) Zustandes mitverantwortlich ist.

Die Führer sind, sicher zu Unrecht, in den Augen des Volkes „Manager“. Dem einfachen Mann zeigt sich dies reduziert auf den Tatbestand des Arbeiterführers und „seines“ Chauffeurs.

Weiter ist die endlich als verfehlt anerkannte Ablehnung der Organisationen mit schuld an der Entwicklung. Die für die Kirche einmalige Chance wurde 1945 nur unzureichend genützt. Auch nicht im Sektor der Bewegung der Werktätigen. So zog sich in der Zweiten Republik christliche und soziale Aktion auf kleinste, sich in unfruchtbaren Diskussionen liquidierende Zirkeln zurück, um schließlich in Miniaturgebilden eine organisatorische Darstellung zu finden. Die Ansätze einer innerkatholischen wie einer vorpolitischen Arbeiterbewegung sind 1945 im Kleinbürgermythus der Städte und in den bäuerlich-kleingewerblichen Interessenverflechtungen der Provinz erstickt worden.

Es fehlt ferner in der katholisch-sozialen Diskussion zudem noch oft der Gegenwartsbezug. Die industrielle Gesellschaft von heute ist beileibe nicht mehr durch den patriarchalisch geführten Betrieb allein repräsentiert, sondern mehr durch das System der Massenfertigung. Nicht der „gottesfürchtige“ hausväterlichc Einzeluntcrnehmer ist der typische Unternehmer dieser Zeit, sondern der verwaltende Manager (und sein Team). Wenn man diesem Umstand nicht Rechnung trägt, wird man auch künftig in der katholischen Diskussion mit Argumenten und Postulaten arbeiten, welche die Massen einfach nicht ansprechen, weil diesen Thesen eben der Wirklichkeitsbezug fehlt. Aber auch die intelligenten Werktätigen (und nur mit ihnen ist eine Arbeiterbewegung aufzubauen) werden von Ausführungen kaum ergriffen weiden, die den ersten Kommentaren entlegener, zu ihrer Zeit bedeutender Enuntia-tionen zu entstammen scheinen.

Man hat auch übersehen, daß das Aktionsfeld christlicher Arbeiterbewegung mehr denn je der Betrieb ist, den es, da in ihm die soziale Problematik unmittelbarste Wirklichkeit ist, zu erobern, zumindest mitzubeein-flussen gilt.

Und da ist noch die Einheitsgewerkschaft, in der die antikatholischen staatskapitalistischen Kräfte wie ein Sog auf die schwachen christlichen Gruppen wirken, die nur noch im Schatten des großen marxistischen Bruders operieren können. Ein Beispiel: die völlige Auslieferung der Gewerkschaftspresse an eine politische Gruppe. Wer hat etwa offen und formell gegen die Angriffe auf den Papst in der Zeitung der Arbeiterkammer (und des Gewerkschaftsbundes) „Arbeit und Wirtschaft“, die im vorigen Jahr erschienen, geantwortet? Den Massen scheint es, nicht mit Unrecht, daß der Gewerkschaftsbund ohnedies mit den früheren freien Gewerkschaften identisch sei und daß es nur eine Arbeitnehmervertretung, nämlich die sozialistische, gebe. Wozu dann nebenher der „Luxus“ einer christlichen Arbeiterbewegung? Die christliche Arbeiterschaft hat also allem Anschein nach keine feste Position zwischen rechts und links, die sie verteidigen will, auch auf die Gefahr hin, in Opposition gehen zu müssen. Und schließlich, wieder scheinbar, ist die christliche Arbeiterschaft nur noch Sektion einer Partei, auf deren Wirken sie lediglich jenen Einfluß auszuüben vermag, den man ihr zubilligen will. Das Gefühl der Arbeitnehmer, daß ihnen von Seiten der Führer der christlichen Arbeiterschaft tatsächlich nur unzulänglich geholfen wird, ist etwa auf dem Gebiet der Stellenvermittlung durch die Wirklichkeit weitgehend gedeckt. Kann man doch als über-1 zeugter Christ eher Direktor eines Staatsbetriebes werden als zum Beispiel Chauffeur.

Schließlich fehlt das richtige Verhältnis zum Landproletariat und zu den Halbbauern. Das Provinzterrain wird weitgehend den Bauernfübrern überlassen, die sich insbesondere im Osten des Landes oft als Herrenbauern zeigen (und dies von Wahl zu Wahl mit immer größerem „Erfolg“). Es kann daher niemanden verwundern, wenn zum Beispiel im Burgenland und in Nicder-österrcich die Halbbauern und die Klein-häuslcr in den nichtchristlichcn Politikern die einzigen Vertreter ihrer ökonomischen Interessen sehen müssen.

Dies einiges zu den Ursachen.

Je größer nun der Anteil der Arbeitnehmer an der Gesamt-beschäftigtcnzahl wird, um so dringender ist es, echte Sozialreform zu treiben. Wer aber könnte mehr die alten sozialreformatorischen Sehnsüchte realisieren als christliche Werktätige, die nicht gewillt sind, alte Mächte durch neue Sultanate abzulösen? Die Notwendigkeit des Bestehens einer machtvollen (keineswegs auf Aktivistcngrüppchen beschränkten) Arbeiterbewegung zu betonen, ist daher unnütz.

Freilich müssen wir uns darüber klar sein, daß es — im innerkatholischen Raum auf jeden Fall — einer völligen Neugründung bedarf. Was da ist, kann nur als dürftiger Ansatz hfzeirhner werden.

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