Eine Regierung im Griff der Geschichte

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Beim Massenmord in Jedwabne hatten 1941 Polinnen und Polen Hunderte ihrer jüdischen Nachbarn in eine Scheune gesperrt und verbrannt. Die Debatte um die Mitschuld der Polen beginnt.

Zuerst Berlin, dann Kiew - und nun auch Tel Aviv: Polens nationalkonservative Regierung ist meisterhaft darin, außenpolitische Beziehungen mit Disputen über die Geschichte zu durchziehen. Die Forderungen nach Reparationen durch Deutschland und die schwelende Aufarbeitung gegenseitiger Verbrechen im Zweiten Weltkrieg mit der Ukraine nutzt Warschau dabei als bewusstes Konfliktinstrument. Mit der israelischen Regierung aber hat sich die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) scheinbar ohne Absicht den nächsten Partner zum Gegner gemacht.

Auslöser der inzwischen bis in die Spitzen der US-Regierung dringenden, massiven Verstimmungen ist ein Gesetz, das beide Kammern des polnischen Parlamentes vor knapp zwei Wochen mit der PiS-Stimmenmehrheit verabschiedet haben. Das Gesetz sieht Geldbußen oder bis zu drei Jahre Haft für Personen im In-und Ausland vor, die "öffentlich und entgegen den Fakten, der polnischen Nation oder dem polnischen Staat Verantwortung oder Mitverantwortung für durch das Dritte Deutsche Reich verübte Nazi-Verbrechen zuschreiben". Die Regierung will mit dem Gesetz vor allem gegen die immer wieder in ausländischen Medien und von ausländischen Politikern verwendete Bezeichnung "polnische Konzentrationslager" vorgehen. Gemeint sind die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager des Zweiten Weltkrieges, die auf heute polnischem Gebiet liegen.

Der Präsident stimmt zu

In Warschau war am Dienstag Staatspräsident Andrzej Duda am Zug: Er zeichnete das Gesetz gegen. Selten war der Druck auf ihn von allen Seiten so hoch. Die Regierung fuhr nach anfänglichem Zögern eine klare Linie: das Gesetz soll so und nicht anders kommen. "Die Lager, in denen Millionen von Juden ermordet wurden, waren nicht polnisch. Diese Wahrheit muss geschützt werden, denn sie ist Teil der Wahrheit über den Holocaust", sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in einer offiziellen Erklärung, die er auch auf Englisch in die Welt sendete.

Die polnische Seite beruft sich bei ihrer Haltung auch auf eine gemeinsame Erklärung der Regierungen beider Länder vom November 2016. Darin hatten sie den besagten Begriff "polnische Lager" als falsch verurteilt. Zudem seien in dem Gesetz auf Wunsch Israels bereits Änderungen vorgenommen worden. Tatsächlich sind Wissenschaft und Kunst von der Regelung ausgenommen. Daher heißt die Marschroute von PiS-Parteichef Jarosław Kaczy´nski: keinen Deut zurück. "Leider kann sich die Wahrheit nicht alleine verteidigen, deswegen sind wir dabei, einen Mechanismus zu schaffen, der diese Wahrheit verteidigen wird", so Kaczynski. Er sei sich zugleich dessen bewusst, dass "die Gegner sehr stark sind".

Die Gegner, die er meint, sind vor allem Israel und die USA. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, Tel Aviv werde "das Fälschen der Wahrheit, die Neuschreibung der Geschichte und die Leugnung des Holocaust" nicht tolerieren. Netanjahu vereinbarte mit Morawiecki, ein binationales Team ins Leben zu rufen, das einen Dialog führen soll. Die Jerusalemer Holocaust-Gedenk- und Dokumentationsstätte Yad Vashem verurteilte ihrerseits die Bezeichnung "polnische Lager". Doch das polnische Gesetz, heißt es, könne "historische Wahrheiten bezüglich der Unterstützung, die die Deutschen von der polnischen Bevölkerung erhielten, verschleiern". Das Thema polnisches Holocaust-Gesetz füllte tagelang die ersten Seiten der israelischen Zeitungen -und gelangte in die USA. Das US-Außenministerium warnte in deutlichen Worten, ein Inkrafttreten des Gesetzes könne Auswirkungen auf die "strategischen Interessen und Beziehungen Polens, auch was die USA und Israel angeht", haben.

Polens Regierung und ihr genehme Medien sehen sich nun in einer Schlacht. "Polen nimmt den Kampf um die Wahrheit an, den man ihr erklärt hat", schreibt der Publizist und PiS-Unterstützer Jacek Karnowski. Und: "Polen wird bis zum Sieg kämpfen." Dass die Protagonisten auf Regierungsseite und ihre Unterstützer so vehement von Gegnern und Schlachten sprechen, deutet indes darauf hin, dass Duda sich eher dem Druck seiner Gruppierung als jenem aus dem Ausland beugen wird.

Sich in Stolz erheben

Denn die große Erzählung, auf deren Basis die PiS vor gut zwei Jahren die Wahlen gewann und heute eine noch höhere Zustimmung genießt, basiert auf dem Versprechen, das sich unter ihrer Führung Land und Bevölkerung sorgsam und stolz "von den Knien erheben" würden. Dies bedeutet etwa, selbstbewusster gegenüber Brüssel und dem Westen aufzutreten, wesentliche Kerne der liberalen Demokratie mit konservativautoritären Dogmen zu ersetzen und unerschütterlich Polens Interessen zu vertreten - ob in der Wirtschafts-,EU-oder eben der Geschichtspolitik.

In der letzteren sehen sich die ins Autoritäre gleitenden Nationalkonservativen nicht nur mit Begriffen wie "polnische Lager" konfrontiert. Sondern auch mit Publikationen wie jener von Jan Gross, der den Massenmord in Jedwabne in die breite Öffentlichkeit trug -dabei hatten 1941 Polinnen und Polen Hunderte ihrer jüdischen Nachbarn in eine Scheune gesperrt und verbrannt. PiS-nahe Medien, die die Beteiligung von Polen am Jedwabne-Pogrom anzweifeln, rufen bereits zu einer Exhumierung dieser Opfer auf. "Das ist der beste Zeitpunkt, um die Kontroversen zu zerstreuen", so der einflussreiche Publizist Rafał Ziemkiewicz.

Kritiker in Polen sehen die Kontroverse woanders: sie stellen das Gesetz entweder als Ganzes infrage, wie eine Gruppe von rund 100 Intellektuellen und Personen des öffentlichen Lebens in einem offenen Brief. Denn "warum sollen Opfer und Zeugen der Vernichtung jedes Wort auf die Goldwaage legen, nur um der Strafverfolgung zu entgehen?", heißt es darin. Moderatere Gegner sehen zumindest einen zu großen Interpretationsspielraum in dem Gesetz. Denn auch wenn es, anders als etwa in Frankreich, während des Zweiten Weltkriegs in Polen keine Marionetten-Regierung gegeben hat, die mit den Nazis kollaborierte, haben etliche Polen Juden an die Deutschen verraten oder waren an Morden beteiligt. Das Gesetz, das aus zwei knappen Artikeln besteht, präzisiert jedoch nicht, ob solche Einzeltäter oder nichtstaatliche Gruppen im Sinne des Gesetzes als Vertreter der "polnischen Nation" gelten.

Opfer auch unter den Nichtjuden

Polens Regierung argumentiert zu Recht, dass das Land und seine Bewohner ebenfalls mit die schwersten Opfer der Nazis waren - unter den etwa sechs Millionen ermordeten polnischen Staatsbürgern der Jahre 1939 bis 1945 waren etwa drei Millionen Nichtjuden. Das Leben unter der deutschen Besatzung war auch für die nichtjüdische Bevölkerung Polens millionenfach ein Martyrium: Vertreibung, Verschleppung und Sklavenarbeit, willkürliche Morde, gezielte und massenhafte Auslöschung von Führungspersonen -und die Todesstrafe für die Rettung von Juden, die Tausende Polinnen und Polen dennoch nicht davon abschreckte, jüdische Nachbarn zu retten.

"Sich aber nur als Opfer zu sehen, entspricht nicht der historischen Wahrheit", sagt die polnische Historikerin Alina Cala, die seit Jahrzehnten zur Geschichte von Juden in Polen forscht. Denn parallel habe es Denunziation, Raub und auch Mord durch polnische Hände gegeben -auf dem Fundament eines Antisemitismus, den es bis heute gäbe. "So ist durch die jetzige Debatte auch ein Teil der an der Mitte orientierten Wähler in Hysterie geraten -und beginnt, sich antisemitischer Schemata zu bedienen", sagt Cala.

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