
Geflüchtete aus der Ukraine: Polens neue Solidarność
Mehr als 2,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge haben bereits die Grenze zu Polen überschritten. Sie werden von der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen – und auch von der Regierung, die durch den Krieg und ihre Flüchtlingspolitik bislang profitiert.
Mehr als 2,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge haben bereits die Grenze zu Polen überschritten. Sie werden von der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen – und auch von der Regierung, die durch den Krieg und ihre Flüchtlingspolitik bislang profitiert.
Wären der Hintergrund und die täglich neuen Dramen der Ukrainer(innen)nicht derart brutal, man könnte über den Sinneswandel der polnischen Regierung gegenüber „Fremden“ während des bereits seit acht Wochen dauernden Krieges nur den Kopf schütteln. Es ist dies die rechte Regierung von Recht und Gerechtigkeit (PiS), die noch vor wenigen Monaten Flüchtende an der polnisch-belarussischen Grenze via Staatsmedien dehumanisieren und sterben ließ. Dieselbe Regierung hat für die ukrainischen Flüchtenden nicht nur alle Landespforten geöffnet – bis Mitte April sind mehr als 2,5 Millionen Menschen nach Polen gekommen und ein Großteil blieb bislang im Land.
Die PiS hat auch nicht vor, Brüssel um eine EU-weite Verteilung der Schutzsuchenden zu bitten. Die Regierung habe „Angst, einen Präzedenzfall zu schaffen: Schließlich könnte die EU irgendwann Menschen mit einer anderen Hautfarbe oder aus einer anderen Religion zu uns schicken wollen. Und diese will man hier nicht”, kommentiert Ewa Siedlecka im liberalen Magazin Polityka.
„Aufnahmekapazität“ ist relativ
Zugleich haben die letzten Wochen seit dem fatalen 24. Februar offenbart, dass die „Aufnahme-
kapazität“ von Asylsuchenden in einem Land ein äußerst relativer Begriff ist. Diese Kapazität, das sieht man in Polen eindrücklich, ist nicht so sehr eine infrastrukturell-technisch-finanzielle Frage, sondern vielmehr eine des politischen Willens der Regierenden wie auch des Willens der Gesellschaft, oder auch: eine Frage politischer und menschlicher Prioritätensetzung.
In Polen ist beides bislang auf Solidarität gemünzt – und daher überfordern selbst die 2,5 Millionen Neuankömmlinge das Land bisher nur in einer relativen Weise. Bei den Menschen, die an der Basis helfen – mit Spenden, mit ehrenamtlicher Arbeit, mit privaten Unterkünften – verstärkt sich zudem das Bewusstsein ob der Bedeutung konkreter Solidarität. Lukasz Nawrocki etwa ist verheiratet, hat drei Kinder – und seit zwei Wochen wohnt eine ukrainische Mutter mit ihrem achtjährigen Sohn bei ihm. „Inzwischen leben wir wie eine Art siebenköpfige Familie“, sagt der IT-Fachmann. „Wir helfen so, wie wir uns wünschten, dass man uns hilft, wenn wir ein ähnliches Kriegsschicksal erfahren würden: dass also meine Frau und die Kinder Schutz fänden, damit ich kämpfen könnte. Aber es war auch Neugier dabei: die Neugier, diese Menschen kennenzulernen. Und es ist schön zu sehen, wie es ihnen nun zumindest ein wenig besser geht.“
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