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Heilmittel „rote Katze“

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Auch Dr. Drimmel hat sich augenscheinlich in besonderem Maße der „roten Katze“ verschworen, mit der man dem Bürger das Gruseln beibringt“. Er beschwört die „beacht-Kehe Frontbreite“ der Linken, die von den „sogenannten Linkskatholiken bis zur den Kommunisten“ rei-ohe. Daß er die „Linkskatholiken“ im selben Atemzug mit den Kommunisten (wie rasch wird man in Österreich zu so einem promoviert!) nennt, geschieht gewiß nicht zufällig. Da steckt Methode dahinter, die man bei einem katholischen Politiker mit Befremden registriert. Auch im besagten Artikel in der „Burschenwacht“ warnt er vor der „Vereinigten Linken“, nämlich vor „Sozialisten, Kommunisten und sogenannten ..Linkskatholiken“ und sieht bereits die „rote Faust im Nacken“.

Für die ÖVP stellt che Dramatisierung der „roten Gefahr“ allem Anschein nach soviel wie eine Lebensnotwendigkeit dar. Nur das Gespenst der roten Katze vermag die divergierenden Interessen der verschiedenen Bünde notdürftig unter einen Hut au bringen. Es ist ein offenes Geheimnis: Die von Dr. Drimmel so bedauerte Entideologisierung der Parteien ist in jener Partei, die er selbst vertritt, äußerst weit fortgeschritten, nämlich vor allem im führenden Wirtschaftsbund. Daher auch die weite Öffnung nach rechts, wie dies anläßlich der letzten Bundespräsidentenwahlen für nicht wenige Sympathisierende befremdend zutage trat. Man stößt in dieser Partei auf Schritt und Tritt auf das bloß-liegende Gerippe wirtschaftsbedingter Interessen. Dazu gesellt sich das starke Einsickern einer Wählerschicht, die sich wie folgt charakterisieren läßt: Christentum hin — Christentum her, die Hauptsache: die Steuern werden nicht höher, das Leben nicht komplizierter und die Einnahmen nicht geringe?.

Aus Dr. Drimmels Thesen läßt sich unschwer zwischen den Zeilen entnehmen, daß es beim nächsten Wahlkampf sowohl in der Bundesrepublik als auch hierzulande wieder um die „Rettung einer christlichen Wertordnung“ gehen wird, daß nur ein Sieg der Rechten die Gesellschaft vor dem „dräuend roten Abgrund“ bewahren kann. Wer daran zweifelt, ist entweder ein naiver Handlanger der Linken oder eben ein gefährlicher roter Verschwörer.

Der christliche Politiker, der diesen Namen verdient, soll es unterlassen, . mit den Standarten und Trommeln eines Parteichristentums in den Wahlkampf zu ziehen und ausschließlich durch seine christlich geformte Persönlichkeit, die von Glaubensüberzeugung, Brüderlichkeit, Toleranz und Soiidartät geprägt ist, wirken. Als Folge eines Umwandlungsprozesses sollten daher manche katholische Politiker ein neues Vehältnis zur demokratischen Linken finden, auf die viele Menschen so lange ihre Hoffnung setzen werden, solange rechts viele Gleich-, gültige stehen, die passiv sind, wenn die „Schwachen schwach, die Mittellosen arm und die ins Unrecht Gesetzten rechtlos bleiben“.

Der Dreiklang „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, in seiner Tiefe doch ein christlicher Akkord, wird jedenfalls der Linken so lange Antrieb geben, solange ihn die Rechte als Dissonanz empfindet.

Diese Rechte ist 1965 auch in Österreich keineswegs tot. Verglichen mit dem Zeitabschnitt unmittelbar nach 1945 tritt heute ein verstärkter Drang nach rechts in der Tat zutage. Vor 20 Jahren standen die Rechten weiter links als heute. Oben und unten, links und rechts standen einander näher. Die Gesellschaft war sozial ein weniger differenziertes Ganzes. Kastengeist, Eigenbrötelei und Selbstüberheblichkeit waren im Inferno der Katastrophe erschüttert worden. Die heiligsten Güter der Rechten, wie Privateigentum, gesellschaftliche Hierarchie, Prestige, Autorität und dergleichen, waren stärker in den Hintergrund gedrängt. Dies bildete eine der Voraussetzungen für den gemeinsamen erfolgreichen Wideraufbau nach 1945. Doch seit etwa einem Jahrzehnt ist dieser Zug nach rechts stärker spürbar, der Trend: weg von der Mitte.

Der Prototyp des bürgerlichen Zeitgenossen, der diese Atmosphäre gebärt, fühlt sich zufrieden, daß er wieder deutsehtümelnd turnen und singen kann, marschiert im Gleichschritt hinter Kameradschaftsbundfahnen, neigt dazu, die Katastrophe von gestern zu glorifizieren, hat eine Abneigung gegen den „roten Proleten“, findet, daß Österreich „übersozialisiert“ sei und denkt sich nichts dabei, wenn ein Universitätsprofessor die Intelligenz von morgen mit Rassenvorurteilen füttert.

Doch wer die Oberfläche des neugewonnenen bürgerlichen Selbstbewußtseins, das — leider — gar nicht so selten auch christlich drapiert wird, ankratzt, gilt als linker Aggressor, der versucht, „den Menschen, die rechts von links stehen, die unbewältigte Vergangenheit an den Hals zu hängen“. Devise mancher konservativer Politiker: Man darf dem Spießer sein sanftes Ruhekissen nicht rauben, denn als Wähler der Rechten darf man sein Selbstbewußtsein keinesfalls schwächen. Das braucht er doch im Kampf gegen die „rote Gefahr“.

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