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Nach Sotschi fahren - oder nicht? Die meisten Sportler sagen Ja; sie wollen - und müssen es wohl auch. Die Funktionäre ebenso. Die Politik aber ist uneins: Obama, Merkel, Hollande &Co fahren nicht; andere, auch Faymann und Strache, aber schon. Der Erklärungsaufwand ist groß, so oder so.

Es geht um das alte Dilemma: Menschenrechte oder Handfestes, Marktchancen vor allem?

Wladimir Putin genießt diese Kluft in den Reihen des Westens. Nach Belieben lässt er jetzt prominente Gegner frei - in seinem Reich geht das ohne viel Juristerei. Und all jenen, die sich davon nicht blenden lassen, attestiert er "ein dummes altes Denken - wir sind doch nicht im Kalten Krieg".

Unter den aktuellen Wortmeldungen zum Stellenwert der Menschenrechte lässt jetzt der alte Helmut Schmidt aufhorchen. Ungeniert verkündet er, was er von einer "wertegebundenen Außenpolitik" hält: herzlich wenig! Für die Menschenrechte würde er zuhause zwar auf die Barrikaden gehen, aber: "Ich habe nicht das Recht, anderen Leuten öffentlich Ratschläge zu geben, wie sie die Menschenrechte verwirklichen." Nachsatz: "Dann könnten wir unsere Beziehung mit den Russen ganz auf Eis legen - mit den Chinesen auch." All die Entrüstung der westlichen Politik sei doch "in Wahrheit nur an das eigene Publikum gerichtet".

Das ist, um in der Sprache des großen Rauchers Schmidt zu bleiben, ziemlich harter Tobak.

Muss man 95 Jahre und ein Säulenheiliger europäischer Politik werden, um sich aus allen Fesseln der Konvention lösen zu können -und so ungeschminkt zu sagen, was Sache ist?

Provokanter Realitätssinn

Ich schätze den deutschen Altkanzler. Und doch: Sein provokanter Realitätssinn stimmt mich betroffen. Sechzig Millionen Menschen mussten im Zweiten Weltkrieg sterben, bis 1948 über den Trümmern und Massengräbern endlich die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" wachsen konnte.

Und erst mit der (gerade von Österreich) so mühselig erkämpften KS-ZE-Schlussakte über die "universelle Bedeutung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" begann der rote Sowjet-Riese von innen zu sterben. So wuchs wieder zusammen, was zusammengehört. Niemand weiß das besser als die Deutschen.

Helmut Schmidt hat Recht: Dass Russland ein riskanter Partner für Olympia ist, hat die Welt auch schon bei der Vergabe dieser Spiele gewusst -niemand sollte jetzt den Naiven spielen.

Helmut Schmidt hat Unrecht: Wer nicht einmal diese rare Chance nützt, um im zumeist moralfreien politischen Geschäft den Verfolgten und Vergessenen ein wenig Solidarität zu signalisieren (oder es zumindest zu versuchen), der hat etwas von seiner Vorbildfunktion nicht verstanden.

Menschenrechte sind längst keine innere Angelegenheit mehr, gottseidank. Zur Kunst der Außenpolitik gehört eine sehr sensible Abwägung von Idealen und Interessen, jedenfalls aber kein Totalverzicht auf so mühsam Errungenes.

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