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Religionswissenschaftliches W örterbuch

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Nach seinem Hauptwerk „Christus und die Religionen der Erde” bereichert der Wiener Erzbisehof die Religionswissenschaft jetzt mit einem wertvollen Wörterbuch, das er in Zusammenarbeit mit einer viel größeren Anzahl von Fachgelehrten herausgegeben hat. Das Vorwort erklärt mit Recht: „In der Religionswissenschaft, vor allem in der vergleichenden Religionsgeschichte, hat das Isolieren, das Herauslösen religiöser Vorstellungen und Begriffe aus dem organischen größeren Zusammenhang viel Verwirrung und Unheil angerichtet.” Um diesem Fehler vorzubeugen, öffnet das Werk nicht, wie gewöhnlich, mit dem eigentlichen Hauptteil der Stichwörter, sondern zuerst mit einem alphabetisch geordneten Register (50 Seiten), das nicht nur alle Rahmenartikel und Textstichwörter, sondern auch alle jene Begriffe und Dinge enthält, die zwar nicht unter einem eigenen Stichwort aufscheinen, jedoch im Zusammenhang mit anderen Begriffen erläutert und näher bestimmt werden. So fehlt zum Beispiel im Korpus des Werkes der Name Adam, aber man findet ihn und die Idee eines Urvaters im alphabetischen Vorverzeichnis, und zwar im Zusammenhang mit den Stichwörtern: Adapa, Erbsünde, Manichäis- mus und Yisho’ Ziva, so daß man die betreffenden religiösen Vorstellungen und Anschauungen untereinander — in ihrer Aehnlichkeit, Differenzierung, Verbreitung usw. — anschaulich machen und Hinweise für religionsphänomenologische und -vergleichende Untersuchungen finden kann.

Es ist nicht nur ein gut gelungener lexikographi- scher Versuch, sondern vor allem im heutigen Stadium der Religionswissenschaft die einzig richtige Methode, die es ermöglicht, das verwirrende Herauslösen und Isolieren zu vermeiden. Vorbildlich ist die Bearbeitung der Rahmenartikel, zum Beispiel über Eschatologie, indem unter diesem Stichwort sowohl die alt- und neutestamentlichen wie auch die babylonischen, buddhistischen, iranischen und keltischen Jenseitsvorstellungen behandelt werden. Dem Untertitel „Grundbegriffe” entsprechend, befürwortet der Herausgeber mit vollem Recht eine „Beschränkung auf das Wesentliche” und auf die „orientierenden Grundbegriffe”. Wenn man als Außenseiter vielleicht das eine oder andere Stichwort (Allegorese, Parabel, Mashal) zu vermissen meint und hier oder dort mehr Ausführlichkeit gewünscht hätte (Erbsünde, Kultur und Religion), so muß man die getroffene .und sehr schwierige Auswahl doch eine glückliche nennen, well die WefiFtichen Begriffe nicht ‘fehlerh Auch die Bibliographie läßt in ihrer notwendigen Beschränktheit wenig Wünsche offen, nur werden die meisten Gebraucher die Angaben in neuhebräischer Sprache kaum lesen oder verwenden können (Chassidismus). Der wissenschaftliche Wert ist durch den vorbildlich •usgewählten Mitarbeiterstab von ungefähr hundert Fachgelehrten aus der ganzen Welt gewährleistet. Wenn der Herausgeber — um nur einige seiner Mitarbeiter „sine discrimine aliorum” zu erwähnen — für Assyriologie de Liagre, Böhl und Furlani, für Ugaritologie Follet, für Sektenkunde Algermissen, für Sprachwissenschaft Hävers, für Aegyptologie H. Junker, für Völkerkunde Köppers und Schebesta, für Hellenismus einen Prümm, für Manichäismus Puech, für Liturgie J. Jungmann, für indische Religion Regamey, für Religionswissenschaft Steffes, für Theologie K. Rahner und H. Fries und für Septuaginta den leider nur selten herangezogenen A. Vac- cari gewinnen konnte, so beweist schon allein diese Liste, daß er nicht nur ein guter Kenner der Fachliteratur, sondern auch ein ausgezeichneter wissenschaftlicher Organisator sein muß. Sehr zu begrüßen ist es auch, daß für fernöstliche Fragen Angehörige asiatischer — insbesondere japanischer — Religionsgemeinschaften herangezogen werden konnten. Die große Zahl österreichischer Mitarbeiter fällt besonders auf (ungefähr 30 zu 100), was auf Grund persönlicher und nachbarlicher Beziehungen begreiflich und für Oesterreich selbst sehr erfreulich ist. Die von ihnen geleistete Arbeit zeigt tatsächlich internationales Niveau und bestätigt auch jetzt noch, daß dieses Land auf dem Gebiet der Völkerkunde, Tiefen • Psychologie und Religionswissenschaft mit an erster Stelle steht.

Die Fülle des wissenschaftlichen, bis auf den heutigen Stand verarbeiteten Informationsmaterials wird einerseits durch eine gesunde und kritische Haltung gesichtet, anderseits vom klaren philosophisch-theologischen Standpunkt durchsichtig gemacht. In diesem Zusammenhang verdienen vor allem die Artikel über Religion, Religionsbegrün-- düng, -ersatz, -gebiete, -geographie, -geschichte, -kategorien, -phänomenologie, -philosophie, -Psychologie, -Soziologie, -Statistik, -Vergleichung und -Wissenschaft die volle Beachtung. Der Leser wird nicht im unklaren gelassen zum Beispiel über den Ursprung der christlichen Taufe, über die Funde von Ugarit oder En Feshcha, über die neuesten Entmythologisierungsversuche usw., und trotz der umfangreichen wissenschaftlichen Bearbeitung durchleuchtet auf einmal ein klarer Satz das ganze, fast erdrückende Material, zum Beispiel über die Theologie als Wissenschaft, über angeblich religionslose Völker („heute sind religionslose Völker in der Ethnologie unbekannt”), oder über die „Notwendigkeit, selbst - Religion zti besitzen/um ein Weltbild, eine GeiStėšhaltūng oder eine Religion iO’-Vbrstihe ’. (S. 738), denn „oft wird Religiöses völlig religionslos behandelt .. . man spricht nicht von Religion, sondern von Religiösem, nicht von Gott, sondern vom Numinosen und bleibt damit im rein Anthropologischen stecken” (S. 877).

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