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Ganzheit und Gestalt

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GESTALTHAFTES SEHEN. Ergebnisse und Aufgaben der Morphologie. Zum hundertjährigen Geburtstag von Christian von Ehrenfels. Herausgegeben von Ferdinand Weinhand 1. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt. VIII. 439 Seiten.

Anläßlich des 100. Geburtstages des bedeutenden österreichischen Philosophen Christian von Ehrenfels (1859 bis 1932) ist eine Gedenkschrift erschienen, welche ein eindrucksvolles Bild von der Wirkung der Lehren dieses Denkers bietet, ohne deren Problematik zu verschleiern. Es ist besonders verdienstlich, daß der Herausgeber vier Originalarbeiten des Gefeierten — davon eine als Erstpublikation — an die Spitze des Bandes gestellt hat, welche entscheidende ursprüngliche Formulierungen der Gestalttheorie enthalten und damit das Thema für die folgenden Beiträge anschlagen. Es ist aber auch erfreulich, daß das Sammelwerk nicht nur wissenschaftliche Aufsätze enthält, sondern von einem feinsinnig gezeichneten Lebensbild aus der Feder von Imma Bodmershof, der Tochter Christian von Ehrenfels', abgeschlossen wird.

Die Themen der wissenschaftlichen Beiträge — es sind nicht weniger als dreiunddreißig — erstrecken sich von der antiken Philosophie (E. Heintel und E. v. Ivanka behandeln Probleme der Deutung Aristotelischer Lehren) bis zur unmittelbaren Gegenwart, etwa wenn K. Bühler über „Christian v. Ehrenfels und Albert Einstein“ schreibt. Der historischen Spannweite entspricht die systematische: der Gestaltbegriff soll sich in der Logik ebenso früchtbar erweisen wie in der Staatslehre, ja wir finden sogar eine ATbeit über das Problem der Seemacht. Dazwischen erstreckt sich ein weites Feld von Forschungsgebieten, wobei das Schwergewicht begreiflicherweise in der Psychologie liegt; aber auch Wertlehre und Kunstphilosophie, Völkerkunde und Kulturmorphologie, Biologie und Soziologie haben, wie die Beiträge zeigen, viele Anregungen von Ehrenfels und seinen Freunden und Schülern empfangen.

Doch wird — trotz oder vielleich gerade infolge dieser Fülle — der Lese nicht recht glücklich, denn es zeigt siel bald, daß der Begriff der Gestalt bzw. de: Ganzheit nie wirklich präzisiert wird um daß er offenkundig seine Beliebtheit nich zuletzt seiner Unbestimmtheit verdankt die es jedem Autor ermöglicht, ihn fü seine eigenen Zwecke zurechtzurichten Damit soll nichts gegen das Wissenschaft liehe Niveau und den sachlichen Wert de Mehrzahl der Beiträge gesagt sein, woh aber gegen ein sorgloses Hantieren mit Be griffen, die gewisse Gefahren bergen.

Diese Gefahren sind sowohl theoretische wie praktischer Art. Schon Moritz Schlicl hat in seinem viel zuwenig beachtetet Aufsatz „Über den Begriff der Ganzheit' (Gesammelte Aufsätze, Wien 1938) nich nur auf die Vagheit und Unbestimmthei des Ganzheits- und Gestalthegriffes hin gewiesen, sondern auch auf diejenige de Summenbegriffes, welcher den Gegensat: zu diesem bilden soll. Was Ganzheit um Gestalt eigentlich sind, wird auch aus den vorliegenden, gewiß eindrucksvollen Barn nicht klar. Aber gerade diesen ihrei Schwächen scheinen die genannten Termin in erheblichem Maße ihren Erfolg zu ver danken, und zwar vor allem in der sozio logisch-politischen Diskussion. Eigenartiger weise- hat sich keiner der Autoren di Frage 'gestallt, ob jene Begriffe nich häufig in Zusammenhängen gebraucht wer den, welche Vilfredo Pareto als Deri vationen bezeichnet, nämlich in Scheinbegründungen jeweils schon vorausgesetzter moralisch-politischer Stellungnahmen. Unerwähnt bleibt auch die Tatsache, daß „Ganzheit“ und „Gestalt“ einen hervorragenden Platz in der Ideologie des Nationalsozialismus und verwandter autoritärer und totalitärer Strömungen eingenommen haben; man hätte ferner zur Kenntnis nehmen sollen, daß sich heute mitunter auch der Bolschewismus „ganzheitlicher“ Argumentationen im Kampf gegen den Westen bedient. Das soll selbstverständlich nicht als politischer Vorwurf gegen die Autoren, wohl aber als Mahnung zu größerer ideologiekritischer Wachheit verstanden werden.

Angesichts solcher Bedenken erscheint es besonders erfreulich, daß der Band gerade aus dem Gebiet der Psychologie, von welchem die Gestaltlehre ja ihren Ausgang genommen hat, einen kritischen Beitrag von beachtlichem Niveau enthält, nämlich „Gestältbegriff und Mechanismus“ von Ivo Kohler (Innsbruck). An Hand der modernsten Entwicklungen, zumal auf dem Gebiete der Kybernetik, zeigt der Autor, daß die seinerzeitige Alternative von „gestalthaften“ und „mechanistischen“ Systemen heute insofern überholt ist, als auch Apparate (bzw. „Maschinen“) zu Leistungen imstande sind, die man als „ganzheitlich“ bezeichnet hat, wie Selbstregelung, Stabilisierung, ja sogar Regeneration nach Störungen. Damit ist die Forschung auf dem Wege zur Überwindung von Antithesen, die schließlich gegenstandslos beziehungsweise rein terminologische Fragen werden. Gegen eine in diesem Sinne methodisch gereinigte und präzisierte Verwendung des aus dem Kreise der Gestalt-und Ganzheitslehren stammenden Vokabulars können selbstverständlich die oben angeführten ideologiekritischen Bedenken nicht mehr vorgebracht werden.

Üniv.-Ptof. Dr. Ernst Topitsck

TRAGISCHE MASKE AUS POMPEJI

In leuchtender Schönheit prangen an den Wänden Fresken von höchster Vollendung der Zeichnung und der Farbengebung: eine „Flora“ etwa in der Art des Botti-celli, „Drei Grazien“, die vielleicht dem Kreise des Poussin zugeschrieben werden könnten. Sie sind nur ein, allerdings signifikanter Teil der Schätze, welche in Pompeji und Herculaneum der Erde entrissen wurden: Tempel und Wohnhäuser, Straßen und Thermen, Werkstätten, Kunstwerke und Hausrat — eine Kunst- und Kulturgeschichte in Stein und Farbe, Erz und Marmor. Den nach dem zweiten Weltkrieg fortgesetzten und nerch lange nicht abgeschlossenen Ausgrabungen verdanken wir die Auffindung des „Hauses mit der großen Fontäne“, das mit der von uns abgebildeten eindrucksvollen Maske geschmückt ist. Der Verlag M. Dumont-Schauberg in Köln legt hier ein der Zusammenarbeit zweier bedeutender Fachleute entstammendes Werk von besonderer Qualität vor. Die Darstellung der Ausgrabungen wie der Funde in ihrer kulturellen und künstlerischen Vielfalt verfaßte der Historiker Marcel B r i o n, die Aufnahmen stammen von Edwin Smith (British Museum, London). Ausstattung und drucktechnische Wiedergabe verdienen jedes lob. („Pompeji und Herculaneum“, 230 Seiten und 132 Abbildungen, hiervon 50 farbige, Preis 44 DM.)

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