Ein gewichtiger Sammelband widmet sich der Entstehung der modernen Wissensgesellschaft bis ins 19.Jahrhundert.
So viele, nämlich 780 Seiten, im Großformat sind nicht nur sprichwörtlich eine gewichtige Angelegenheit: Das Buch "Macht des Wissens" wiegt 3,5 kg. Richard van Dülmen und sein wissenschaftliches Team haben es sich zur Aufgabe gestellt, die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft mit den radikalen Umbrüchen in der Renaissance, dem Humanismus, der Reformationszeit, der Aufklärung bis ins 19. Jahrhundert zu dokumentieren, festgemacht an Personen, welche diese Entwicklung geprägt haben. Um den Leser nicht zu verwirren, hätte man mit der Zufügung von Jahreszahlen im Untertitel oder dem Hinweis auf die vorindustrielle Zeit den Zeitrahmen genauer abgrenzen sollen - so bleibt der Eindruck, dass der Titel mehr verspricht als der Inhalt tatsächlich hält.
Nicht gottgegeben
Man begegnet in dem Buch den großen Astronomen und Mathematikern wie Nikolaus Copernikus, Galileo Galilei, Johannes Kepler, Tycho Brahe oder Isaac Newton, welche durch theoretische Überlegungen die Basis für neue experimentell überprüfbare Beobachtungen schufen und nicht das tradierte Wissen eines Ptolemäus oder Aristoteles als sozusagen "gottgegeben" übernahmen. Breiten Raum nehmen die neuen Techniken wie die Entwicklung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern durch Gutenberg oder die Ergebnisse der Alchemisten als Vorläufer der modernen Chemie ein.
Rasche Verbreitung
Die Herausbildung einer Wissensgesellschaft in Form einer "Universität" begann sich ab 1500 gefördert von der Kirche als eher noch bescheidener Gelehrtenstand zu etablieren, der durch die gemeinsame lateinische Sprache und die neue Kulturtechnik des Buchdruckes länderübergreifend vernetzt war. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden durch die neuen Kommunikationsmittel verbreitet und in der Gelehrtenwelt breit und rasch rezipiert.
Wer Thesen vertrat, welche nicht dem vorgegebenen Weltbild entsprachen, geriet bald mit der weltlichen, zumeist jedoch geistlichen Obrigkeit in Konflikt - bis hin zur Verfolgung durch die Inquisition, dem aufgezwungenen Widerruf von Lehrmeinungen oder des öffentlichen Verbrennens der Bücher und deren Verfasser auf dem Scheiterhaufen.
Sammelbände verschiedener Autoren bergen immer die Gefahr in sich, dass Themen mehrfach wiederholt werden und uneinheitliche Abhandlungen der gestellten Aufgaben erfolgen. Das kann gerade auch dann passieren, wenn - wie man in diesem Fall dem Vorwort entnehmen kann - einer der Herausgeber, Richard van Dülmen, während der Arbeit an diesem Werk verstorben ist. Auch die Auswahl gewisser Personen erscheint nicht immer ganz schlüssig.
Kritisch überprüfbar
Sehr gut dargestellt wird die Entwicklung einer neuen Ordnung des Wissens vom Experiment über den Beweis hin zu einer widerlegbaren Theorie. Aufbauend auf diesen gedanklichen Konstrukten ist eine exakte Wissenschaft und damit, wie es in einem der nachfolgenden Kapitel heißt, "Mathematisierung und Quantifizierung der Wissenschaft" erst möglich und neue Denkmodelle stellen sich der kritischen Überprüfbarkeit. Breiten Raum nimmt im Buch der Bereich der Aufklärung ein, als wesentlicher Befreiungsprozess von ideologischen Bevormundungen durch die Kirche.
Das Format des Buches kann nicht als besonders leserfreundlich bezeichnet werden, die Illustration beschränkt sich mit Ausnahme von zwei Bildblöcken auf Schwarzweißabbildungen und einer der größten Kritikpunkte durch das oben angesprochen Gewicht von mehr als 3,5 kg ist, dass das Buch im Bett als Abendlektüre gänzlich ungeeignet ist. Das verwendete Hochglanzpapier beansprucht außerdem die Augen durch die Lichtspiegelungen sehr. Damit ist die "Macht des Wissens" ein Buch, welches dem Interessierten die Welt der Wissenschaft und deren Entwicklung ausführlich darlegt, als Lesebuch von A-Z jedoch eher wenig geeignet ist, viel mehr als Nachschlagewerk und für das selektive Lesen von Teilaspekten der Wissenschaftsgeschichte.
Macht des Wissens
Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft
Hg. von Richard van Dülmen und Sina Rauschenbach
Boehlau Verlag, Wien 2004
742 Seiten, zahlr. Abb., geb.,e 51,30
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