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Ein Lamm im Wolfspelz

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Wer nicht mit den Wölfen heulen will, muß mit den Lämmern schweigen!

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Wer nicht mit den Wölfen heulen will, muß mit den Lämmern schweigen!

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Sehr geehrte Damen und Herren! - Mit diesem „Lebensspaziergang" („-lauf ist nur für besonders Eilige geeignet) bewerbe ich mich für eine homöopathische Menge an Unsterblichkeit: Ich begann dort, wo Karl Kraus aufhörte: 1936 und halte seither die „Fackel" meines Selbstlichtes hoch. Dieses Selbstlicht spielte eine leicht verschobene Mischung wider: Als österreichischer Beamter ungarisch-jüdischer Herkunft vereine ich in mir Grillparzers Humor mit Kishons Poesie.

Damit bin ich bei einem wesentlichen Meilenstein meiner Biographie angelangt. Meine Lebenspraxis -„Kleine Bosheiten erhellen die Feindschaft und decken die eigenen Schwächen zu!" - führt mich immer wieder dazu, Mitmenschen liebevoll zu karikieren, ihre seelischen Züge zu verzerren, um meine eigenen relativierend zu glätten. Ich bin daher ein Schaf im Wolfspelz. Kein reißender Wolf, der sich hinterhältiglammfromm verkleidet, kein Schein-Schaf, das statt Gras junge

Zicken frißt, sondern vielmehr ein Wunsch-Wolf, hinter dessen Aggression Angst und hinter dessen Zynismus Unsicherheit steckt.

So marschiere ich, als Schaf im Wolfspelz, wild-entschlossen, kerni-

Sprüche klopfend - stets im Kreis, in Friedenssoldat aus k. u. k. Uniformresten zusammengestückelt, der nichts so haßt wie den Krieg, der Dunst und Dampf immer nur mit der Waffe der Zunge und Feder und nie mit Kanonen erzeugt.

Wie dieser Soldat-im-Frieden, der nicht einmal Ost-Illegale an der grünen Grenze oder Weekendhäuser am Ufer des Hochwassers stoppen kann, leide auch ich unter einer „nirgendsfachen Dazugehörigkeit". In unserer Zeit der Wurzel-Suche, die einem Ginseng gleich Potenz und Standfestigkeit verleihen sollte, suche auch ich verzweifelt nach einem historischen Halt, um auch meine Schwächen hinter einer Wir-Stärke verstecken zu körmen.

Am einfachsten, wie schon der Name sagt, ist die „einfache Dazugehörigkeit": Man ist Zulu-Neger, oder Altkatholik, oder stanmit zumindest aus Neubau. Man kann aber nicht gleichzeitig ein weißgefärbter Neger, ein neu-getaufter Altkatholik oder gar ein aus dem Ausland gebürtiger Neubauer sein.

Die Theorie, wie auch immer, ist auch hier einfach: „Mehrfach-Loya-lität", „Vielfach -Dazugehörigkeit" heißen die wohlgemeinten, wenn auch gänzlich unbrauchbaren Ratschläge der Migrations-Experten. Wer immer und überall zu spät konrnit, weil die Ehefrau nicht rechtzeitig und der Ehemann vorzeitig fertig wurde, auf den warten keine Stühle im Großen Lebens-Theater mehr, sondern nur mehr Zwi-schen-Stühle, wo er sich auch immer und prompt hinsetzt. Zwischen den Stühlen - und das ist besonders gemein an der „nirgendsfachen Dazugehörigkeit" - gibt es keinen breiten Spalt.

Es genügt schon ein bißchen Unsicherheit, kaum bewegen sich die

Nachbarn auf ihren angestammten Sesseln und schon merkt man, daß man gar nicht so willkommen ist, daß man nur ein geduldeter Zwi-schen-den-Sesseln-Sitzer ist. Man kann weder den einen noch den anderen Stuhl für sich beanspruchen; das ist eben die Tragik der nirgendsfachen Dazugehörigkeit. Nichts bleibt einem, nur der Neid.

Am Ende meines „Lebensspazierganges" steht Gott, der nie mit einer ßevölkerungs-Explosion rechnete, da er nie an den Riesenerfolg seiner Schöpfung glaubte. Dafür programmierte er alle Menschen - und daher auch mich - für die Unsterbhch-keit. Erst die Sehnsucht nach der verbotenen Erkenntnis, nach Adams Apfel, machte uns verwundbar, brachte das Sterben in unser Leben ein, öffnete unsere Augen vor der Urangst des Lebensendes.

Die Welt ist ein einziges großes Land der unbeschränkten Möglichkeiten. Wer an diese beschränkten Unmöglichkeiten glaubt, der sollte sich entscheiden: Entweder mit den Wölfen heulen, oder mit den Lämmern schweigen.

Ich weiß, wovon ich spreche: Ich bin ein Schaf im Wolfspelz.

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