Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Vom Genius der Liebe
Die Frauen der deutschen Romantik haben, über alle zeitliche Ferne hinweg, ihren eigenartigen Zauber behalten. Eine Anziehungskraft, die einmal in ihrer geistigen Bedeutung wurzelt, mehr aber noch in ihrer beglückenden Art, ganz und vollkommen Frau zu sein. Daß nicht nur einzelne, daß eine ganze Gruppe von Frauen — Caroline Schlegel,- Bettina, die Günderode, Sophie Mereau-Brentatto, Susette Contard, Clara Schumann, Ida v. Lüttichau, die Droste, Mathilde Wesendonk, um nur die zu nennen, deren Schicksalen Hans Kern in seinem Buche „Vom Genius der Liebe“ nachgeht — im schönsten und umfassendsten Sinn in einer allseitigen harmonischen Ausbildung der Kräfte, im Persönlichen und Fraulichen, (famals so glücklich sich entwickeln konnte, ist in der geistigen Situation ihrer Zeit begründet. In jenem Hang der Romantik zum Unbewußten, zum dunklen, magischen Daseinsgrund, in dem die Frau natürlich und sicher daheim ist. 1
Diese Atmosphäre der Zeit ist der Hintergrund von Kerns Darstellung. Seine Einführung und neun Lebensbilder, abgerundet und vervollständigt durch Briefe und Betrachtungen der Frauen, ergeben ein echtes und faszinierendes Bild des Lebens und Liebens der Frauen der deutschen Romantik, ein Bild auch des Wesens der Frau schlechthin, dessen, was sie ist in ihrer Vollendung, wenn Seele und Sinne sich in vollkommener Einheit durchdringen. Die Stärke des Autors liegt in seiner Einfühlungsgabe; die vorhandenen Reichtum sichtbar deutet und macht, in seiner Erkenntnis, daß es der Genius der Liebe war, der diese Frauenjcben bestimmte.
Abgesehen von der Droste hat keine der be-
deutenden Frauen der Romantik ein eigenes schöpferisches Werk hinterlassen. Aber in ihrer Lebens- fülle, in ihrem Sein — als Liebende und Freundinnen —, in der Kühnheit und Unbefangenheit ihrer Gefühle und Handlungen, waren sie schöpferisch im Lebendigen.
Und auch die inspirierende Begabung der Frau, ihre Einwirkung auf das männliche Schaffen — und damit auf die künstlerische und kulturelle Gestaltung der Epoche — kam in ihnen zur schönsten Blüte. Sie alle waren große Liebende, sie vollenden sich in ihrer unbedingten Liebesfähigkeit und -bereitschaft, in einer Liebe, die oft nicht in ihren menschlichen Beziehungen begrenzt bleibt. Bei Bettina und bei der Günderode ist' die Liebe fast gegenstandslos, ein freies Schweifen aus der Ueber- fülle des Herzens, ein Lieben um des Liebens willen. Aber auch in den leidenschaftlichen menschlichen Beziehungen dieser Frauen — Susette Gontards zu Hölderlin, Sophie Mereaus zu Brentano oder Mathilde Wesendonks zu Wagner — steckt etwas von jenem überpersönlichen umfassenden Gefühl, das im Geliebten Gott und die Welt einschließt. „Verbunden sind wir stark und unwandelbar im Schönen und im Guten, über alle Gedanken hinaus im Glauben und im Hoffen", schreibt Diotima an Hölderlin.
Dieser Genius der Liebe, die vielfältigen Möglichkeiten der einen Liebe, die in all ihren Varianten ganz und unteilbar ist, hat Kern in seinem Buch eingefangen — der Titel verspricht nicht zuviel.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!