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Schnörkel und Kabala

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DIE ERKENNTNIS DES SCHMERZES. Von Carlo Emilio Gidii. C.-Piper-Verlag, München, 1964. 24 Selten. Preis 18.50 DM.

Der zweite ins Deutsche übersetzte Roman des Italieners Gadda ist ein früheres Werk als der erste, „Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana”. Er hat ihm, im Vergleich zu den anderen preisgekrönten Werken, nicht unverdient den hochdotierten Internationalen Verlegerpreis des Vorjahres eingetragen, und Gadda hat nunmehr den Ruf, neben Lampedusa der bedeutendste Schriftsteller Italiens zu sein. Die Parallele drängt sich angesichts einer Erzählweise, welche die zur Zeit so beliebten Mimikrispiele meidet und sich unverhüllt zur persönlichen Stellungnahme bekennt, von selbst auf, allerdings nur in diesem einen Punkt, daß sein Stil von den gegenwärtigen literarischen Vorlieben weitgehend unabhängig ist. Lampedusa hat mit dem „Leoparden” einen großen zeitgeschichtlichen Roman geschrieben, wie er durch die Linie Balzac, Stendhal, Flaubert auf der- einen, Thackeray, Dickens auf der anderen Seite des Ärmelkanals gekennzeichnet wird. Die Tradition eines Gadda liegt anderswo, der gesellschaftliche Bezug wird weitgehend verschlüsselt und die Erzählweise durch Schnörkel und Kabala angereichert.

Es ist nicht schwer, das südamerikanische Maradagäl, wohin Gadda seine Erzählung verlegt, mit der Lombardei zu identifizieren, die Wach- und Schließgesellschaft, die diesen Staat beherrscht, mit dem Faschismus zu übersetzen. Freilich geht die Verschlüsselung viel weiter, bleibt sogar, da der Autor Brok ken einer fiktiven romanischen Sprache verwendet, weitgehend un- entschlüsselbar, ohne allerdings dem Erzählfluß Abbruch zu tun. Die Handlung dreht sich um die Gestalten eines Angestellten der Wach- und Schließgesellschaft, des vorgeblichen Invaliden Pedro, und um die überdimensionierte Figur der Pepa. Die Meander, in denen das Geschehen fortschreitet, lassen sich schwer wiedergeben. Der Standort des Autors dem Geschehen gegenüber und den Personen ist weitgehend der herkömmliche, nämlich außerhalb stehend und allwissend. Die Ironie, zuweilen auch direkte Satire ist umständlich, als würde sich Gadda seinem Stoff nicht direkt nähern, sondern auf Umwegen, sich herantastend, sich zuweilen vom Stoff zugunsten von Sprachspielen abkehrend. Das Barocke dieser Erzählweise bekundet sich auch in der Metapherwelt, deren sich der Autor bedient und die im Verdauungstrakt des Menschen angesiedelt ist, von dessen Anfang bis zu seinem Ende. Es sei im Rahmen dieser Besprechung nur kurz angemerkt, daß darin vielleicht die Erklärung für den späten deutschen Ruhm des Romans liegt, der in Italien immerhin schon vor dem Krieg publiziert wurde: die gegenwärtige literarische Mode in Deutschland bevorzugt augenfällig gerade diesen Bereich der menschlichen Funktionen in der Wahl der Themen und Bilder wie auch in der Art und Weise der dichterischen Anverwandlung.

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