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DIE WAAGE DER BALEKS UND ANDERE ERZÄHLUNGEN. Von Heinrich Boll. Union-Verlag, Berlin. 143 Seiten.

Für jeden, der die Erzählkunst Bolls aus seinen Romanen, etwa aus dem dichten und transparenten Wortkunstwerk „Billard am Vormittag“, kennt, sind diese Erzählungen, von denen die meisten ersichtlich aus frühen Perioden stammen, aufschlußreich. Herb und unerbittlich sind diese Geschichten, sie zeigen den Dichter auf dem harten Weg zu Disziplin und geistiger Strenge. Keine unverbindliche Floskel, kaum ein entbehrliches Wort sind in dieser sauberen und männlichen Prosa zu finden, aus der bitteres Leiden an der Welt und karge Zuversicht sprechen. Manche Szenen und Bilder, zum Beispiel die Beichte eines kleinen Durchschnittsmenschen, der, unter der Wucht des Absoluten stöhnend, neue Kraft empfängt, graben sich tief in die Erinnerung des Lesers ein. Menschliche Tapferkeit und unpathetisches Christentum machen den allgemeinen, der erlebbare Kampf um die Bändigung der Sprache den künstlerischen Wert des Bändchens aus, dessen etwas trockene Illustration von Karl-Erich Müller besorgt wurde.

SIGNOR VENERANDA SIEHT ROT. Von Carlo M a n z o n i. Albert-Langen — Georg-Müller-Verlag, München. 78 Seiten. Preis 5.80 DM.

Allzu einfach macht sich der Autor seine vergnüglich sein sollende Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, die er seinem eher dümmlichen als skurrilen Helden Signor Veneranda überläßt; auch sind 21 Kurzgeschichten mit stereotyp wiederkehrender gleicher Pointe kaum zu ertragen. Guareschis Vorbild wird nirgendwo erreicht, die Illustrationen, die der Autor selbst anfertigte, entsprechen seinem Text. Die Übersetzung aus dem Italienischen durch Herberth und Marlys Herlitschka ist ausgezeichnet. *

GLASL VORM AUG. Von Bronner-Merz-Qualtinger. Mit einem Vorwort von Axel von Ainbesser. Albert - Langen — Georg - Müller - Verlag, München. 86 Seiten. Preis 5.80 DM.

Für alle, die keine Gelegenheit hatten, das seit Jahren beste Kabarett des deutschen Sprachraums, in dem die Autoren dieses Bändchens den Ton angeben, zu besuchen, mag diese Neuerscheinung ein Pflastert fürs Herz bieten, nämlich eine Tröstung für das unverzeihliche Versäumnis. Lind doch auch mehr: nämlich einen Blick in die alchemistische Zauberküche, in der die scharfgeschliffenen Moritaten, Satiren, Ironien mit ihrer zumeist tieferen Bedeutung entstehen. Was auf der Kleinbühne mit Wort, Klang und Gebärde rasch schießt, trifft und weiterzieht, einmal schwatz auf weiß zu sehen, bereitet besonderen Genuß, denn hier erweist sich's doppelt, wie präzise und wortsicher, oft bis in den Bereich der Kunst, diese als Spiegelfechtereien maskierten Aussagen sind, wie tief menschlich diese Glossen wurzeln, die — man kann ruhig sagen: mit geistiger Keuschheit — unter unverwechselbar wienerischer Nonchalance Zündstoff sammeln. Gegen wen eigentlich? Nun, gegen geistige Trägheit und Barbarei, gegen Korruption und Dummheit, gegen jene Sünden, wider den Geist, die, solange es Menschen gibt, als giftiger Schimmel durch alle Ritzen dringen wollen. Die Zeichnungen von Rudolf Angerer erfüllen ihre Rolle vollkommen und lassen wünschen, seiner geistreichen Feder bald wieder zu begegnen. *

LÜVERS KINDHEIT. Erzählung. Von Boris Pasternak. Piper-Bücherei, München. 75 Seiten. Preis 2.50 DM.

Der Charakter des Dokumentarischen, den Pasternak auch hier seiner Prosa zu geben weiß, laßt in dieser Erzählung seine kontrapunkthafte Verwendung deutlich erkennen. In der gleichsam zur Arenabühne erhobenen Berichtform können eigenwillige, selbst artistisch anmutende Metaphern gewagt werden, kann es Gedankensprünge ohne zunächst erkennbare Ziele, kann es ein Zugleich von zarter oder warmer Empfindung und kalter Analyse geben, ohne daß die Sinnbezogenheit der Teilchen zum Ganzen gestört würde, ohne daß eine eher konventionell anmutende Erzählweise revoltierend gesprengt erschiene. Dennoch: die Dimensionen Zeit und Raum werden auf eine Weise elastisch, die etwa zwischen Proust und Joyce zu Hause ist. Dieser Mimikry einer Denkart-und Ausdrucksrevolte, die der Situation Pasternaks in seinem Lande entspricht, nachzuspüren, ist erregend. Der bedeutende Geist empfängt eben die Ströme der Zeit in einer Kommunikation, die keine Grenzen kennt, und, sofern seine Kraft groß genug ist, er nimmt selbst aus dem Zwang noch Reize, ja Befehle zu nur noch verstärkter innerer Dynamik.

Von außen gesehen sind es zumeist alltägliche, ja banale Ereignisse, in welche etliche Jahre der Kindheit des Mädchens Shenja eingebettet sind. Doch wie sich diese Dinge, das Benehmen der Eltern, eine frühe Pubertät, Begegnungen mit Menschen, Landschaften, Tages- und Jahreszeiten, in der Seele des Kindes spiegeln, ist Reichtum und es ist absolut westliche Dichtung. Dabei setzt intellektuelle Sehschärfe und Gelassenheit eine Art von geistigem Rhythmus, zu dem (ähnlich wie zum Beispiel beim musikalischen Element des „Swing“) die atemlos einander drängenden oder gesättigt und ermüdet ausschwingenden Welterlebnisse in den Tiefenschichten der Seele des Mädchens Shenja in fortwährendem dynamischem Gegensatz stehen.

Das menschliche Klima und die Farbskalen der Empfindungen ebenso wie der Aufbau des Szenariums erinnern immer wieder an Thomas Mann und geben uns als Rätsel auf, über die geistige Macht nachzusinnen, mit der sich Pasternak inmitten des sowjetischen Gesellschaftskörpers, in pausenloser Auseinandersetzung mit diesem, seine eigene Welt, als geschwisterliche Entsprechung der unseren, zu bilden wußte.

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