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Am Anfang: die Formel

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Journalismus im elektronischen Zeitalter: In Wien und in Dublin gab es dazu jüngst zwei faszinierende Tagungen mit faszinierenden Referaten. Hier einige Kostproben daraus....

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Journalismus im elektronischen Zeitalter: In Wien und in Dublin gab es dazu jüngst zwei faszinierende Tagungen mit faszinierenden Referaten. Hier einige Kostproben daraus....

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Am Anfang war die Formel — an jedermanns Anfang! Denn die Genetik hat herausgefunden, daß der menschliche Körper auf Grund einer Urzelle produziert wird, welche die für das Individuum reservierte Herstellungsformel enthält, die ihrerseits wieder in jeder Zelle des wachsenden und sich erneuernden Körpers diese Formel — die genetische Information - realisiert und unverändert einspeichert. Wie die Herstellungsstrecke arbeitet, ist noch sehr im Graubereich wissenschaftlicher Erkenntnis.

Kann aber am Anfang der Generationenreihe, am Anfang des Lebens eine Formel gewesen sein? Wohl kaum — wieder ein Geheimnis und ein Wunder. Daher sind alle Versuche, diese Anfänge mittels des Zufalls zu erklären (der in unserer formelerfüllten Welt als Ersatz für das Wunder, für den Geist und für die Phantasie herhalten muß), äußerst dubios.

Auch dort, so möchte ich Voraussagen, wird sich erweisen, daß am Anfang das Wort steht, der Logos. Denn sonst kann es überhaupt keinen Sinn geben ...

Das Thema muß an der Sprache begonnen werden, denn aus der Sprache stammt das Grundverhältnis zwischen Wort und Formel. Den präzisen Formelbegriff aber hat die Mathematik geschaffen, die Formel mit absoluter Beweisbarkeit.

Dieser Formelbegriff ist es, der über Naturwissenschaft und Technik unser heutiges Leben beherrscht.

Mit zahlreichen Modellen, die eigentlich meist ein organisiertes Zusammenspiel von Formeln sind, versuchen wir, die Natur und unsere technische Welt in den Griff zu bekommen, und diese ganze Welt pocht auf die absolute Beweisbarkeit der Formeln, teils offen, teils versteckt.

In all ihrer Pracht aber sind diese Formeln dennoch nicht imstande, das Wort zu entthronen. Denn nicht nur in der Politik, sondern auch in der Naturwissenschaft und in der Technik ist die Formel leer — „tautologisch“, wenn es gelehrter ausgedrückt werden soll —, wenn sie nicht durch das Wort mit der Wirklichkeit verknüpft und auch auf den Menschen bezogen und zurückgeführt wird. Kein Formalismus und kein Modell hat Sinn in sich selbst.

Der Ursprung der Sprache liegt im Dunkeln. Haben wir unsere Sprache, weil die Natur den Menschen mit Sprechwerkzeugen wie Zunge und Lippen ausgestattet hat, oder haben wir Zungen und

Lippen, welche schließlich auch Tiere besitzen, zu Sprechwerkzeugen entwickelt, weil uns unser Geist von einem bestimmten Punkt an mit der Sprache ausgerüstet hat? Diese Frage bleibt of-fen.

Ohne Zweifel aber ist es die Sprache, mit der wir uns über die Natur und über uns selbst erhoben haben, mit der wir die natürlichen Grenzen überschritten haben, denen alle anderen Lebewesen unterworfen sind.

Die Sprache ist das Großartige und die Tragödie des Menschen. Sie ist ein Universalinstrument von unübertroffener Kraft. Es gibt fast nichts, das sich nicht in ihr ausdrücken ließe, und gar nicht so selten mit erstaunlich geringem Aufwand.

Die Sprache hat von Natur aus formelhafte Teile und sie hat echte Formeln lange vor der Mathematik und der Logik hervorgebracht.

Am deutlichsten macht die Religion den Verbund von Geist und Formel. Der Geist ist transzendent und eher mit dem Feuer, dem Wind und der Wolke zu vergleichen als einem starren Gestänge. Dafür aber gibt die Formel die Si cherheit, die Verläßlichkeit — die Wiederholung, die leichtere Erlernbarkeit, die Redundanz.

Soll eine Religion nicht unverbindlich und willkürlich interpretierbar bleiben, dann braucht sie die Formel. Erst wenn man die vielen Kämpfe um Formeln als Kämpfe um und für die Sicherheit begreift, versteht man ihre tiefe Bedeutung.

Es gibt Segens- und Fluchtformeln, Eides- und Weiheformeln, Dank-, Bekenntnis- und Gebetsformeln Die Nützlich keit des Formelhaften wird besonders dort offenbar, wo es fehlt.

Erst als man die Promotionsfeier fast auf dem Niveau der Führerscheinaushändigung hatte, merkten die Absolventen, auch die progressivsten, daß die alten

Formeln ihren Wert hatten. Mit Taufe, Hochzeit und Begräbnis ist es nicht anders. Der Geist braucht die Form aus vielen Gründen. Und die Form manifestiert den Geist.

Der Computer ist nichts anderes als eine komplexe, in Halbleitertechnologie realisierte Formel. Der Computer ist Elektronik gewordene Formel

Daher soll man sich nicht vor der Technik fürchten, sondern ihre Grenzen abschätzen und sich auf das konzentrieren, was die Technik in absehbarer Zukunft oder niemals übernehmen wird.

Mit einem Trend, der alle Gebiete unseres Lebens erfaßt, muß und wird auch das Presse- und Zeitschriftenwesen fertig werden. Aber niemals wird das letzte Wort durch die letzte Formel ersetzt werden!

In zwei Generationen wird jeder Mensch ein Programmierer sein, wie er heute schon Wähltelephonist ist... Aber so lange der einzelne und die Gesellschaft leben, so lange wird das Wort die Formel dominieren. Denn die Formel allein ist tot, erst das Wort erteilt ihr das Leben, das sie brauchbar macht.

Der Autor ist Universitätsprofessor, Computerspezialist und IBM Fellow in Wien.

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