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Bewegung
Mit Interesse verfolgen wir derzeit die Bewegung in der Sozialistischen Partei Österreichs. Leider können wir hierzu aus der bayerischen Nachbarschaftshilfe keinen richtungweisenden Rat anbieten, weil unsere SPD schon seit langem keine Bewegung mehr kennt, eher Ermattung und Resignation.
Bewundern muß man die weise Voraussicht der SPÖ, die Jubiläums-Ausstellung über ihre 100 Jahre alte Bewegung nicht in eine würdige Umgebung im Zentrum Wiens zu legen, wie es eine selbstbewußte staatstragende Partei tun würde. Als ob sie die Affairen der letzten Wochen schon geahnt hätte, ist sie bescheiden in ein altes Gaswerk am Stadtrand gekrochen. Verschämte Armut ist bekanntlich die edelste.
Niemand kann nun behaupten, daß es in der SPÖ von heute keine Bewegung mehr gebe. Im Gegenteil, da rührt sich was: Ein Funktionär nach dem anderen macht seinen Sessel frei.
Allerdings muß man einschränken, daß die sozialistische Bewegung in der Gegenwart nicht so sehr eine Arbeitnehmer-Bewegung ist, sondern nur noch eine Nehmer-Bewegung. Die hat zwar auch was mit der sozialen Versorgung zu tun, aber mehr für die höhere Bewegungsklasse. So hoch oben, wo man seine eigene Bedeutungfür das Wohl des Volkes kaum überschätzen kann, da muß man es ja kleinlich finden, daß der Staat selbst von seinen tragenden Säulen Steuern kassieren will.
Nun kann ich mir natürlich leicht vorstellen, wie solche Mißverständnisse mit den bekannten italienischen Gastarbeiter-Zwillingen Brutto und Netto passieren konnten. Hat man nicht jahrzehntelang bei Euch den Sozialisten vorgehalten, sie verstünden nichts von Wirtschaft und gesundem Erwerbssinn? Sie verteufelten den Gewinn und machten aus ideologischer Verblendung den Neid zur höchsten politischen Tugend? Ihre Klassendoktrin stünde einem wohlstandsjreundlichen Pragmatismus im Wege?
Ja, solche bitteren Vorwürfe gehen doch nicht spurlos an einem empfindsamen Parteifunktionär vorüber! Irgendwann gibt er einfach dem gesellschaftlichen Drang zum Pragmatismus hin nach und rafft auch, was er kriegen kann. Da lernt eben auch ein .^Neidgenosse“ auf soziales Unterprivilegiertsein zu verzichten, so daß er schließlich aus pragmatisch-bürgerlicher Gesinnung Gewinne vorzieht und zum Ausgleich dafür Steuern hinterzieht.,
Wenn das jetzt auch wieder nicht recht ist, dann steht die sozialistische Bewegung vor einer neuen Wende: Rückzug vom Pragmatismus und Heimkehr zur Ideologie? Vielleicht würde eine Rückkehr zur alten sozialistischen Moral schon genügen.
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