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Dämmerlicht der Gefühlssphäre

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Platon hat die Welt, in der wir leben, mit einer Höhle verghchen, deren Eingang so hoch hegt und so eng ist, daß man nicht hinaussehen, sondern nur die Schatten- und Lichterspiele verfolgen kann, die von draußen hereinfallen. So sieht man nicht die Welt selbst, sondern nur deren Widerschein.

Dieser Vergleich ist heute noch gültig, wenn man bedenkt, daß das Ich des Menschen tatsächlich in einer Höhle wohnt, in der Schädelhöhle, wo das Gehirn die Sinneseindrücke einfängt, aufbewahrt, gedanklich und gedächtnismäßig verwertet, und so sich eine Abbildung, nicht aber eine wirkliche Erkenntnis der Welt erarbeitet.

So trägt jeder seinen höchstpersönlichen Kosmos mit sich, in sich, - ein sehr subjektives, aber für Leben und Uberleben der menschlichen Spezies optimal ausgelegtes Weltbild. Es kennt nur menschhche Maßstäbe. Wenn man hochmütig sagt, „der Mensch ist das Maß aller Dinge“, so anerkennt man zugleich, daß unsere Weltvorstellung kategorisch begrenzt wird durch das menschhche Begriffsvermögen, welches alles darüber hinaus zielende Philosophieren abprallen läßt wie eine Fliege an einer Fensterscheibe.

So verhält es sich auch mit unserer Gottessuche, wenn wir sie auf rein rationaler Grundlage betreiben: Mit den Mitteln des logischen Kalküls, mit dem Mittel des Experiments, welches den Naturwissenschaften und damit der Technologie zum heutigen Stand verholfen hat, kann Gott nicht nachgewiesen werden. Da er einer anderen Dimension als Raum, Zeit und Kausalität, und zwar einer nicht vorstellbaren Dimension angehört, entzieht er sich aller menschlicher Meßtechnik. Gott kann man

nicht beweisen, allerdings auch nicht widerlegen.

Nun fließen aber die ins Hirn einströmenden Sinneseindrücke nicht nur in die taghelle Sphäre des Verstandes, sondern verzweigen sich auch ins Dämmerlicht der Gefühlssphäre, eines Gebiets, das anatomisch sehr genau bekannt ist, - gemeinsamer, wenn auch verfeinerter Besitz des Menschen mit allen Wirbeltieren. Es sind das die Bereiche der Intuition, des Instinkts, der Affekte, auch der Träume.

Anscheinend treffen aus der Umwelt auch hier Signale ein, die uns geheimnisvoll und strittig erscheinen, weil ihr Wesen und ihre Uber-tragungsvorgänge wissenschaftlich noch nicht erforscht und definiert sind. Immerhin ermöglicht dieses System von Bahnen und Zentren dem Individuum, sich rasch an wechselnde und vor allem bedrohliche Umweltsbedingungen anzupassen, - und zwar ohne Mithilfe der Vernunft.

In diesem Bereich sind die Emotionen des Menschen beheimatet; hier fühlt er, hier glaubt er; und sie sind es wahrscheinlich,die ihn auch zu mystischer Versenkung in Gott ermächtigen.

Wenn also die modernen Naturwissenschaften einen Beitrag zur Lösung der Frage nach Gott erbringen mögen, so vielleicht diesen Einblick in die zweifache Arbeitsweise der Persönlichkeit und unsere Kenntnis von der hirnanatomischen Ortung dieser Funktionen. - Mag es dem Menschen für immer versagt sein, Gott zu wissen, so kann er ihn zumindest erfühlen. Er kann an ihn glauben, er sollte an ihn glauben. Denn die „Kinder Gottes“ leben und sterben im allgemeinen geborgener als die Abkömmlinge des Urknalls.

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