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Das tut wohl

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Ein Jude und ein NichtJude teilten ein Schlafwagenabteil. J. bat N. um eine Seife, dann um einen Rasierapparat, dann um Zahncreme. Als N. ihm die Zahnbürste verweigerte, sagte J.: „Sie sind Antisemit!“

Nach einem Autounfall ging der Schuldlose auf den Schuldigen zu: „Pardon, sind Sie Jude?“ — „Nein.“ - „Du Trottel, Du Idiot! Du Kretin!“

Uber solche Anekdoten hat Hans Weigel sein jüngstes Buch geschrieben. Tenor: Juden sind auch Menschen. Sie haben keinen Anspruch auf Sonderstellung. Es gibt auch böse Juden, wie es gute und böse Christen, Muslime, Buddhisten und Atheisten gibt. Auch Zigeuner, Homosexuelle und Pfarrer wurden von Hitler verfolgt. Kindern, Frauen, Behinderten, Minderheiten, Andersdenkenden wird immer noch Unrecht zugefügt.

Geschrieben vor Waldheim, aber nach ihm nicht zurückgenommen, von einem liberalen Juden, der 1932 aus seiner Religionsgemeinschaft aus- und in keine neu eingetreten, also weder Zelot noch Konvertit ist: wenn das nicht wohl tut!

Hans Weigel tut wohl. Sein „Buch gegen Feindseligkeit“ mußte geschrieben werden, auch sein Protest gegen „Ubergriffe der Philosemiten“. Aber es mußte (und von einem Juden) auch deshalb geschrieben werden, damit Christen ihm da und dort widersprechen können.

Natürlich muß man Israel, muß man die Juden auch kritisieren dürfen. Aber man muß auch (was Weigel nicht tut) mit Jonathan Magonet verstehen, daß die Gründung des Staates Israel „die dramatischeste Kehrtwendung im 2000jährigen Schicksal der Juden“, also nichts „Gewöhnliches“ war. Das Schicksal der Juden ist auch nicht mit dem der Armenier, Kurden, Krimtataren, Afghanen, Tibeter oder Kambodschaner vergleichbar. Nur ein Volk der Erde ist von Anbeginn um seines Soseins, nein: um seines Daseins willen verfolgt worden.

Christen teilen mit ihm Schöpfungsglauben, Dekalog, Psalmen, Gebete, Liturgiestruktur und Schalom-Hoffnung — und sind mitschuldig daran, daß einer das tötende Wort von der „Synagoge des Satans“ zum Vorwand für Volksmord genommen hat. In unseren Tagen!

Ein Drittel der Juden der Welt wurde innerhalb von fünf Jahren ausgerottet. 200.000 Juden lebten vor 1938 in Österreich, 8000 sind es heute. Es gibt keine Kollektivschuld, aber es muß eine Kollektivscham geben. Diese verbietet nicht Kritik, aber sie gebietet demütigen Umgang damit.

Es gibt eine einzige Legitimation, dem zu widersprechen: die Forderung nach Demut in der Kritik gegenüber jedem Menschen. Weil jeder ein Abbild Gottes ist, wie wir vom Juden-Mose wissen. Wer das fassen kann, der fasse es.

Der Autor ist Leiter der Presseabteilung der Bundeswirtschaftskammer.

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