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Der Generationswechsel

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Generationswechsel“ ist in Ungarn ein Begriff, über den man in letzter Zeit zwar wenig spricht, dessen Verwirklichung jedoch im Zuge des Reformprozesses schrittweisej vorangetrieben wird. Die jüngsten Umbeset-zungen in der Regierung sind auch in diesem Zusammenhang zu bewerten.

Nun sind wichtige, mit der Volkswirtschaft eng verbundene

Schaltstellen mit neuen Verantwortlichen besetzt worden, die ihre entscheidenden Erfahrungen in den vergangenen 19 Jahren der Reformbewegung gesammelt haben.

Der neue Finanzminister Peter Medgyessy (47) erwarb sein Diplom 1966 an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der Budapester Universität. Während seiner zwanzigjährigen Tätigkeit im Finanzministerium galt sein Interesse vor allem der Preis- und Steuerpolitik; diesbezüglich erwarb er sich Verdienste im Geiste der Erneuerung.

Er übernimmt ein Ministerium, dessen Strukturen den von der Reformbewegung geschaffenen Dimensionen nicht mehr gewachsen sind.

Auch Frigyes Berecz (Jahrgang

1933) im Amt des Vizepremiers gilt als Wirtschaftsexperte. Der 1964 promovierte Elektroingenieur war in den vergangenen sechs Jahren Generaldirektor der größten elektrotechnischen Firma des Landes.

Als ein über fundierte Kenntnisse verfügender Fachmann soll er in der Regierung die Reformplattform stärken. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die genannte Körperschaft künftig einigen Veränderungen entgegensieht.

Beresz übernimmt den Posten von Läszlö Maröthy (45), einem energischen Organisator. In seiner neuen, mit ministeriellen Befugnissen ausgestatteten Funktion an der Spitze des Staatlichen Planungsamtes wird Maröthy dafür sorgen müssen, daß es sich künftig in verstärktem Maße als Koordinationsorgan in gesamtwirtschaftlichen Vorgängen profiliert; die Voraussetzung dafür ist die Verbesserung der Organisationsstruktur dieser Körperschaft.

Die Fähigkeit zum Durchgreifen, aber auch zu Ausdauer und Behutsamkeit charakterisiert den Führungsstil des zur älteren Ge-

neration zählenden Läszlö Ballai (Jahrgang 1929). Der als überzeugter Reformanhänger geltende Nationalökonom war bisher in der Wirtschaftsleitung des Parteiapparates tätig.

An der Spitze der in der Regierung integrierten „Kommission für Staatliche Volkskontrolle“ -die zum Schutze der wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitspolitischen Interessen dient - soll er zur effektiveren Gestaltung der Aktivität dieses Organs beitragen, zumal es auch für die Verbesserung der Arbeitsdisziplin zuständig ist, die für das Land seit geraumer Zeit ein ungelöstes Problem darstellt.

DiewirtschaftspolitischeAbtei-lung des Zentralkomitees, die er bisher leitete, wird jetzt von seinem engen Mitarbeiter Miklös Nemeth (39) übernommen, der als ein fähiger Schüler Ballais gilt.

Die Frage, inwieweit die Neubesetzungen zur Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten beitragen können, bleibt freilich einstweilen dahingestellt.

Anderseits trifft es zu, daß die ungarische Partei den unhaltba-

ren Leitsatz, nachdem das System tadellos sei, die Mängel nur aus menschlichem Versagen resultieren, nunmehr auf höchster Ebene aufzugeben bereit ist, wobei man sicherlich nicht jenen Widerstand außer acht lassen darf, den dogmatische Reformgegner und hemmungslose Nutznießer des Systems vor allem auf mittleren Parteiebenen stets noch zu entfalten versuchen.

Die Substanz des Reformprozesses beinhaltet jedoch die Veränderung entwicklungshemmender Gefüge. Umbesetzüngen in hohen Staatsämtern bedeuten hier demnach nicht mehr das „unter Anerkennung ihrer Verdienste“ erfolgende Auswechseln unfähiger Führungskräfte gegen neue, von denen die Aufrechterhaltung unzulänglicher Strukturen erwartet wird, zu der sie sich auch bald außerstande erweisen.

Die vorwiegend jungen Politiker in ihren neuen Ämtern sind unter den ersten, die vor eine Aufgabe gestellt werden, die ihnen in diesem Sinne gewiß eine viel gewichtigere Verantwortung aufbürden wird, als ihren Vorgängern.

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