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Der irrationale Faktor

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In einem Wahljahr, in dem nicht nur alle Probleme politisiert, sondern auch emotionalisiert werden, erhält die Frage nach der Investitionsbereitschaft der Industrie zuweilen eine politische Schlagseite dahin, als ob die Industrie aus politischen Absichten investitionsunwillig sei. Wenn die Frage nach der Investitionsbereitschaft der Industrie gestellt wird, so kann die Antwort nur in einem größeren Zusammenhang gegeben werden.

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In einem Wahljahr, in dem nicht nur alle Probleme politisiert, sondern auch emotionalisiert werden, erhält die Frage nach der Investitionsbereitschaft der Industrie zuweilen eine politische Schlagseite dahin, als ob die Industrie aus politischen Absichten investitionsunwillig sei. Wenn die Frage nach der Investitionsbereitschaft der Industrie gestellt wird, so kann die Antwort nur in einem größeren Zusammenhang gegeben werden.

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Zunächst einmal: Investitionen haben manches zur Voraussetzung, nicht nur die Beurteilung der Konjunkturlage, sondern auch die Einschätzung der Ertragsaussichten, steuerpolitische Überlegungen ebenso, wie solche strukturpolitischer Art vor allem aber gibt es auch einen irrationalen Faktor bei den Investitionsüberlegungen von Unternehmensleitungen. Es geht nämlich um das oft zitierte „Klima“ und die Frage, ob dieses für Investitionen günstig sei. Damit stößt man in einen politischen, besser gesagt, gesellschaftspolitischen Bereich vor, der nicht immer nur rational erfaßbar ist. Wenn etwa pauschal eine Unternehmerbeschimpfung geübt wird, wenn generalisierende Beschuldigungen gegen das Versagen „der Unternehmer“ oder “des Managements“ ausgesprochen werden, wenn sich Unternehmer fragen, ob sie auf lange Sicht— ist es immer nur auf „lange“ Sicht? — Unternehmer bleiben werden, so wirkt sich das selbstverständlich auch auf die Investitionsüberlegungen und -entscheidun-gen aus. Es sei etwa daran erinnert,

daß in der Bundesrepublik Deutschland vor gar nicht allzu langer Zeit ein direkter Zusammenhang zwischen einer gesellschaftspolitischen Kampagne gegen die Unternehmerschaft insgesamt und einem Absinken der Investitionsbereitschaft konstatiert werden mußte, sodaß sich schließlich, aus Sorge über die Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, der sehr realistische Bundeskanzler Helmut Schmidt gezwungen sah, einer solchen Aktion entgegenzutreten und expressis verbis auf die volkswirtschaftliche Bedeutung und Notwendigkeit des Gewinnes hinzuweisen, wobei die kritischen Töne an den linken Flügel seiner eigenen Partei unüberhörbar waren.

Auch jetzt fragen sich österreichische Unternehmer, ob es sich lohne, Investitionen vorzunehmen, wenn nicht nur die Ertragserwartungen gedrückt sind, sondern wenn auch

nicht immer nur ein der unternehmerischen Leistung freundlicher Wind durch das Land weht. Um eine Verunsicherung der Unternehmerschaft zu vermeiden, wird es notwendig sein, klar zu sagen, daß auch in Zukunft die unternehmerische Funktion und die unternehmerische Leistung ihren festen, unbestrittenen Platz haben werden, und daß insbesondere der „harte

Kern“ der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, nämlich die Disposition über die Investitionen, wohl von den allgemeinen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen beeinflußt, nicht jedoch aus politischen Gründen angenagt und eingeschränkt werden soll.

Eine Hauptsorge der österreichischen Industrie, die in direktem Zusammenhang mit der Investitionsbereitschaft und -fähigkeit steht, ist die bedenkliche Erosion des Eigenkapitals. Es werden daher nicht nur aus wirtschaftspolitischen sondern auch aus eminent gesellschaftspolitischen Gründen — Erhaltung eines freien Unternehmertums — Überlegungen angestellt werden müssen, wie mittels neuer Wege und Instrumente die Eigenkapitalsbasis der österrei-

chischen Unternehmen gestärkt werden kann. Ebenso werden auch steuerliche Anreize für Strukturumschichtungen innerhalb der österreichischen Industrie und weit darüber hinaus innerhalb der gesamten Volkswirtschaft geprüft werden müssen.

Allzu fasziniert blickt man in der derzeitigen wirtschaftspolitischen Diskussion nur auf die Konjunkturpolitik, übersieht aber, daß die Strukturpolitik auf lange Sicht im Vordergrund stehen wird, daß Konjunktur- und Strukturpolitik sich immer mehr ineinander verzahnen und daß wir aus Gründen eines umfassenden Strukturveränderungsprozesses in der gesamten Weltwirtschaft auf einen längeren Zeitraum mit kritischen Situationen zu rechnen haben werden.

Nach Ansicht der österreichischen Industrie sollten nun jene Investitionen, die sich rasch prodiuktivitäts-steigernd und positiv für den Export auswirken und die strukturpolitisch nützliche Effekte haben, forciert werden. Im Bereich der öffentlichen Investitionen sollte man die lebens-

notwendigen Infrastrukturvorhaben, etwa auf dem Gebiet der Bildung, der Volksgesundheit, der Verbesserung der Verkehrsverbindungen, eindeutig zu Lasten der bloßen Prestigeprojekte realisieren.

Eine Betrachtung über die Investitionsbereitschaft der österreichischen Industrie wäre unvollkommen, wenn nicht auch der einkommenspolitische Flankenschutz und seine hohe Bedeutung für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs erwähnt würden. Die Unternehmen werden nämlich inffol-ge der stürmisch steigenden Kosten immer verwundbarer, zudem haben große und potente Konkurrenten Österreichs auf dem Weltmarkt bereits einen eindeutigen Stabilitätsvorsprung, der ihnen bei ihren Angeboten zugutekommt. Unabhängig vom Wahltermin sollten darum die Sozialpartner rechtzeitig in Fühlung über den künftigen Weg der Einkommenspolitik treten, damit die nächste Lohnrunde den Veränderungen der weltwirtschaftlichen Situation und der Wettbewerbsverhältnisse Rechnung trägt.

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