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... die Bibel ist an allem schuld“

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Wer ist letzten Endes schuld am Imperialismus, an der Destruktion außereuropäischer Zivilisationen, an der Umweltkatastrophe? Der österreichische Schulfunk weiß die Antwort. Aus dem philosophischen Einführungsunterricht, der naturgemäß aktuell und interessant formuliert werden muß, „Denkanstöße“ liefern soll, erfahren wir es: Schuld ist die Bibel und ihre „messianische Befangenheit“.

Nicht aus einer komplexen Situation auf der Basis von nationalstaatlichen Ideen, technischem Fortschritt und Bevölkerungsexplosion heraus, nein, in Befolgung des Bibelauftrags „Macht euch die Erde Untertan“ hat der Abendländer einen Imperialismus entfaltet, der ganze Kulturen zerstört hat. Er wurde zum „ökologischen Diktator“, dessen Verhalten das Überleben der Menschheit in Frage stellt. Zwar wird konzediert, daß vom mes-sianischenWahn auch die modernen Propheten, speziell Marx, geblendet seien, aber diese sind eben nur die Opfer jener Mentalität, die sich in den monotheistischen Kulturen „bis zur Besessenheit“ gesteigert habe. Aus deren Tradition ist der abendländische Imperalismus hervorgewachsen, ihr fällt die Menschlichkeit zum Opfer, denn „nach dem primitiven Muster der Freund-Feind-Ideologie“ wird die Menschheit in Menschen und Unmenschen unterteilt.

Auf so wahrhaft philosophische Manier wird ein derart komplexes Problem wie die Suprematie der europäischen Zivilisation behandelt, welche zweifellos negative, aber auch positive Aspekte aufweist - und das Ganze wird kurzerhand der Religion in die Schuhe geschoben. Wo, wenn nicht in einer derartigen Präsentation kommt das in der Sendung kritisierte primitive Muster des Freund-Feind-Bildes zum Ausdruck?

Sicherlich, die Redaktoren dieser Sendung können sich auf wissenschaftliche Autoritäten berufen. Es wird hier im großen und ganzen die antichristliche Polemik, als Geschichtsinterpretation wiedergegeben, wie sie im Gefolge eines Arnold Toynbee entstanden ist. Aber kann es denn die Funktion einer Institution wie des österreichischen Schulfunks sein, eine derart kontroversielle Hypothese kritik- und distanzlos den Jugendlichen als gesicherte objektive Wahrheit zu präsentieren?

In zunehmendem Grad wird eine so verdienstvolle Institution wie der Schulfunk zu einem Instrument der politisch-ideologischen Manipulation im Sinne des Marxismus. Dies gilt speziell für Geschichte und Sozialkunde, beispielsweise in bezug auf „christlichsoziale Alternativen“. Ausgangspunkt bildet der Partnerschaftsgedanke zwischen Mann und Frau, über den „heute keine grundsätzlichen Differenzen zwischen den Parlamentsparteien mehr bestehen“. Dann aber wird zur Attacke geblasen: „Für lange Zeit war es allerdings ein Dogma christlichsozialer Zielvorstellungen, daß mit Hüfe der Bibel die Vorherrschaft des Mannes über die Frau, also das Patriarchat, nachgewiesen werden könne.“ Zwar wird in diesem Zusammenhang zugestanden, daß auch für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung die Frauenemanzipation keineswegs Priorität hatte, aber in einer weiteren Sendung - und zwar über die Familienrechtsreform -wird mit sehr viel Nachdruck zu verstehen gegeben, daß es die sozialdemokratischen Arbeitervereine und ihre gewerkschaftlichen Organe waren, die die Rechtsstellung der Frau in ihren Forderungskatalog aufgenommen haben. Von den wirklich entscheidenden Differenzen zwischen christlichem und sozialistischem Konzept - nämlich von der Einstellung zur Familie und zum Recht auf Leben -wird nicht gesprochen.

Überhaupt wird Zeitgeschichte prinzipiell nur als Geschichte der Arbeiterbewegung angesehen, wobei dieser naturgemäß ein Monopol auf die Schaffung der Demokratie zugestanden wird. Die Monarchie wird ihres Images als „gute alte Zeit“ radikal entkleidet und als wahres Inferno für den arbeitenden Menschen präsentiert. Dabei ist mit keinem Wort von der objektiven Problematik der Industrialisierung in der damaligen Phase die Rede, dafür werden die - oft maßlos aufgebauschten - Mißstände ausschließlich dem herrschenden System zur Last gelegt.

Die Sendungen zum Lateinunterricht kennen nur ein Problem: die Sklaverei. Sie befassen sich einzig und allein mit Aspekten dieser Institution und deren Reflexen in der römischen Literatur. Die ganze hochaktuelle politische Problematik der Republik und des Imperiums, speziell des Niedergangs der römischen Zivilisation, der alarmierende Parallelen zur Gegenwart erkennen läßt, bleibt unerwähnt.

Der Katalog der Beispiele könnte noch beliebig verlängert werden. Sicherlich, es wäre falsch, zu behaupten, daß alle Sendungen politisiert wären. In jenen über Laserstrahlen, Energiewirtschaft oder Briefmarken, kam tat-sächlich nichts von Politik vor. Aber es gibt kaum eine Sendung über ein gei-stes- oder gesellschaftspolitisches Thema, das keine eindeutige ideologische Schlagzeüe hätte. Goethe beispielsweise muß als „Aufhänger“ ausgerechnet für eine Sendung über „Imperialismus - die Selbstzerstörung Europas“ herhalten.

Diese „Umfunktionierung“ des Schulfunks ist ein gravierendes Problem. Die Basis der westlichen Demokratie ist noch allemal der Pluralismus, die Toleranz, das Streben nach Objektivität. Auch ein demokratischer Sozialismus kann nur auf dieser Basis existieren. Die Vermittlung eines rein marxistischen Geschichts- und Gesellschaftskonzepts muß zwangsläufig die Jugend in Richtung Kommunismus motivieren und letzten Endes zur Selbstzerstörung auch der Sozialdemokratie führen.

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