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Die Zukunft verhüten?

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Für einen besorgten Schriftsteller, der die Vorgänge unserer Zeit verfolgt, liegt es nahe, den seelisch trägen Menschen der „westlichen“ Zivilisation zu zeigen, wohin die Reise ginge, wenn man alles einfach laufen ließe, etwa im Vertrauen auf bisherige Fortschritte oder im Vertrauen darauf, daß das Rechte und Gute aus demokratischen Institutionen von selbst hervorgehen, oder daß — weil wir uns einigermaßen wohlfühlen, wenn wir die Augen schließen — man darauf vertrauen könne, das Pendel werde sich schon von selbst beizeiten in eine andere Richtung bewegen.

Dem entgegenzutreten, ist die gewiß lobenswerte Absicht des umfangreichen Buches von Gordon Rattray Taylor, das in der deutschen Ubersetzung „Zukunftsbewältigung“ heißt. (Im Original heißt es „How to Avoid the Future“. Das gibt den Inhalt besser wieder. Denn Taylor will eben zeigen, welche Verhängnisse in Welt und Menschheit heute angelegt sind, und wie wir sie vielleicht zu vermeiden vermöchten.)

Mit einem gewaltigen Aufwand an Schrifttum — wissenschaftlichen Werken, Artikeln, auch Leserbriefen — behandelt Taylor die Wege ins Ausweglose, auf denen unsere Zeit dahinrollt. (Bis sie wohl vor dem Nichts steht, das sie durch das Nichts, ä la Marcuse, überwinden zu können glaubt.) Da finden wir behandelt: die Probleme der Technik; die sozialen Probleme der Wirtschaft; die Uber-tragung der sozialen Verantwortung an den Staat, der zu bürokratischer Diktatur fortschreitet; die Freiheitsrechte, die ohne Freiheitspflichten Sinn und Seele verlieren; der „Erstickungstod der Menschheit“ in der Urbanisierung; die „weltweite Hungersnot“ ; die Bevölkerungsvermehrung; die Knauserigkeit der industriellen Gesellschaften; die Bodenreform in Lateinamerika; schließlich die mögliche Klimaa&Ätdfcftfis IM zur Vereisung und so weiter und so fort.

Das ist zumeist nichts Neues. Aber es ist verdienstvoll, diese Dinge nicht etwa nur aus der inneren Logik des Geschehens, sondern in fleißig gesammelten Daten aufzuzeigen. Man wird freilich vom Rezensenten nicht erwarten können, daß er sich mit all dem hier befaßt. Dazu müßte man erstens die Daten nachprüfen können und zweitens sich anmaßen, selbst in allen diesen Fragen ein Urteil fällen zu können. Es soll nur versucht werden, den Schwerpunkt der Überlegungen Taylors aufzuzeigen. Die entscheidende Kraftquelle zur „Rettung vor der Zukunft“ sieht der Autor in der Uberwindung des technologischen Denkens in Wirtschaft und Gesellschaft und vor allem in einer Wiedergewinnung „sozialen Zusammenhaltes“. Man hat das unter Betonung des Ethischen meist Solidarität genannt.

Um diese zu wecken, bedürfe es anderer Formen des sozialen Aufbaues, Dezentralisierung der Macht und Verantwortung, Verlebendigung echter lokaler und funktionaler Gemeinschaften. Das Entscheidende aber müsse die Regeneration der Familie, möglichst als Großfamilie, sein. „Die Geschichte des Niederganges unserer Zivilisation ließe sich beschreiben als stufenweiser Abbau familiärer Strukturen.“ Schließlich müsse die „Arroganz“ des „aufgeblähten Ego“ überwunden werden.

Trotz solcher Bemerkungen geht die Darstellung am einzelnen und somit am ethischen Gehalt fast gänzlich vorbei. Es wird immer nur von der „Gesellschaft“ gesprochen. Nun, das gehört zu den geistigen Verarmungserscheinungen unseres politischen und sozialen Denkens. Wo Taylor dennoch vom Menschen und seiner Haltung gegenüber dem Mitmenschen und gegenüber der Ordnung spricht, zeigt sich eine Wissenschafts-i'gjtubigkeit, die dem Psychologen und dem Psychiater mehr zutraut, als sie wohl leisten könnten. Geistesgeschichtlich, ideengeschichtlich bietet das Buch fast nichts. Gewiß, einmal wird eine „weltumspannende Idee“ postuliert, aber nicht darauf hingewiesen, daß es schon heute weltumspannende Ideen sind, die am Grunde des Geschehens zur Entscheidung rufen. So gibt uns Taylor manche Information über die Problemfülle der Zeit. Viel des Neuen (oder des alten Wahren) bietet er nicht.

ZUKUNFTSBEWÄLTIGUNG. Von Gordon Rattray Taylor. Aus dem Englischen von Wolf-Dieter Bach. Hoffmann und Campe, Hamburg, 479 Seiten, öS 292,60.

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