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Eine zizerlweise Selbstzerstörung

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Die Begebenheit reizt zum Lächeln: Da bearbeiten zwei biedere Landbriefträger tagaus und nachtein die ihnen anvertrauten Briefe, Drucksorten und sonstiges Postgut mit dem Brieföffner in der Absicht, sich eilig lesend des Inhalts bzw. der Geheimnisse dieser Poststücke zu bemächtigen jind begründen diese zeit- und kräfteraubende amtswidrige Tätigkeit treuherzig mit dem Hinweis, nur auf diese Art und Weise das Briefgeheimnis schützen zu können. Denn schützen könne man nur, was man wisse!

Als der Oberösterreicher und Literaturwissenschafter Alois Brandstetter vor einigen Jahren diese postalische Paradoxie zum Gaudium seiner Leser und „zu Lasten der Briefträger“ zum besten gab, da hätte wohl niemand so ohne weiteres eine Parallele erahnt zu einer anderen und mindestens ebenso wichtigen gesellschaftlichen Institution, wie es das verfassungsrechtlich geschützte Briefgeheimnis ist, nämlich zur politischen Verantwortung.

Heute wissen wir, daß der sympathischen literarischen Umwertung des Briefgeheimnisses eine bedeutend weniger sympathisch wirkende Umkehrung

des Begriffs der politischen Verantwortung korrespondiert:

Politische Verantwortung beziehe sich daher nur auf Dinge, die der Politiker weiß. Daß mit einer derartigen Auffassung das Berufsrisiko jedes Politikers ausgeschaltet wird und demzufolge alle Winkelzüge unternommen werden, um in die verantwortungsfreie Pose des „Ich-heiße-Hase-und-weiß- von-nichts“ schlüpfen zu können, ist die eine Seite der Medaille.

Die andere ist, daß ein derartiges Verantwortungskonzept nicht mehr als Kernbereich der Moral anzusprechen ist, geschweige denn die Vorstellung rechtfertigen kann, mit einem Geradestehen für Konsequenzen verknüpft zu sein. Und zwar gerade auch dann, wenn der politisch Verantwortliche nichts Konkretes weiß (oder wissen kann), dafür aber rechtlich kompetent ist.

Das mag vielleicht nicht immer ganz fair sein, ergibt sich jedoch aus der rechtsstaatlichen Verwaltungsarchitektur und ist außerdem ein bekannter und riskanter Inhalt jeder politischen Funktion.

Seit dem Durchschlagen des AKH- Skandals bis zur politischen Ebene wis

sen wir allerdings, daß das Selbstver-. ständnis der politischen AKH-Verant- wortlichen nicht mit so läppischen Dingen wie Moral, Mut oder Einstehen für Konsequenzen belastet ist. Im Gegenteil: Die Moral hat man bisher höflicherweise aus dem Spiel gelassen und statt des Geradestehens beschreitet man die krumme Tour des Abputzens und statt des Eigenen-Kopf-Hinhaltens zeiht man andere der Kopflosigkeit.

Fürwahr ein erhebendes Spektakel der zizerlweisen Selbstzerstörung als glaubwürdiger und demokratischer Politiker! Von diesen Helden der politischen Verantwortung hätte sich selbst noch ein Lenin eine Scheibe abschneiden können und seinem kommunistischen Credo vom „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ einen uneinholbaren Vorsprung gesichert, hätte er es noch ergänzt mit der Formel: „Verantwortung ist am besten“.

Aber nicht nur die Trauer ob dieser verpaßten Gelegenheit verbindet uns im Geist mit dem alten Lenin, sondern zunehmend wird uns auch seine Humorlosigkeit verständlicher. Ist doch auch uns schon seit längerem das Lachen angesichts der „Verantwortungs

bereitschaft“ der AKH-Gewaltigen im Hals stecken geblieben.

Doch auch diese seelische Mißstimmung darf unseren Blick auf die vom AKH eigentlich symbolisierte Krise nicht trüben. Der Keim zur Selbstzerstörung liegt ja nicht nur im verantwortungslosen „Verantwortungsbewußtsein“ der AKH-Politiker (und darüber hinaus), sondern auch im relativ verunsicherten und zum Teil sogar vernachlässigten Wertbewußtsein der breiten Bevölkerung.

Gerade das Umsichgreifen einer resi- gnativen und ohnmachtsimprägnierten Stimmung verdeutlicht am besten das Fehlen einer moralischen Evidenz und den Mangel an moralischen Haltungen, es sei denn, man erklärte den Mangel damit, jeder gelernte Österreicher verfüge selbst über Erfahrungen, die man mit Nikolai Gogol mit der bangen Frage umschreiben könnte: „Nehm’ ich oder nehm’ ich nicht?“

^ Solche Erfahrungen mit sich und mit anderen beschleunigen selbstverständlich den Prozeß des tendenziellen Verfalls der moralischen Werte hierzulande, wenn nicht bald und gezielt Abhilfe geschaffen wird. So paradox es auch klingen mag: es scheint viel leichter zu sein - auch im AKH-Skandal -, ein politisches Menschenopfer zu bringen, als erfolgversprechende Bemühungen um eine moralischeSanierung brüchig gewordener Bereiche des öffentlichen Lebens einzuleiten.

Bemühungen der erwähnten Art

dürften sich ja nicht nurim Anprangern individuellen und öffentlichen Fehlverhaltens erschöpfen, noch dürften sie sich mit einem Rückgriff auf frühere .Moralvorstellungen zufriedengeben, sondern sie müßten diederzeitige Krise der Moral als ein Aufgabenfeld darzustellen vermögen, dessen Bewältigung uns allen aufgetragen ist.

Voraussetzung für den Lernprozeß der Öffentlichkeit wäre die Einsicht, daß persönliche Verantwortung wie auch gesellschaftliche und politische Verantwortung mehr sind als nur überflüssige und leicht abschütteibare Begleiterscheinung; daß es aber auch Aufgabe der Politik ist, den verantwortungsfähigen und -bereiten Bürgern Chäncen zur Bewährung und Selbstverwirklichung einzuräumen. Ist es doch nur der verantwortungsbewußte und mündige Bürger, der die Verantwortlichkeiten seiner Politiker geltend zu machen versteht und der auch der Verführung widerstehen kann, einem von der Moral getrennten Begriff von politischer Wirklichkeit aufzusitzen.

Niemand Geringerer als der österreichische Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat diese, einem christlichen Politikerverständnis verpflichtete Erkenntnis so ausgedrückt: „Je älter ich werde, desto bewußter wird mir, daß alle Probleme der Wirtschaftspolitik schließlich Probleme der Moral sind.“

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien.

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