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Es fehlt der Dialog

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Wie verhalten sich „eurokommunistische“ Parteien Westeuropas in sozial-wirtschaftlicher Hinsicht? Dazu hat der bekannte Abgeordnete der Südtiroler Volkspartei, Dr. Hans Benedikter, einen umfangreichen Materialkatalog zusammengetragen, aus dem wir im folgenden einige Passagen zitieren, die vor allem die wirtschaftspolitische Lage unseres Nachbarlandes eindrucksvoll erhellen.

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Wie verhalten sich „eurokommunistische“ Parteien Westeuropas in sozial-wirtschaftlicher Hinsicht? Dazu hat der bekannte Abgeordnete der Südtiroler Volkspartei, Dr. Hans Benedikter, einen umfangreichen Materialkatalog zusammengetragen, aus dem wir im folgenden einige Passagen zitieren, die vor allem die wirtschaftspolitische Lage unseres Nachbarlandes eindrucksvoll erhellen.

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Italien ist wohl das einzige Land ' der westlichen Welt, in dem Betriebe selbst in wirtschaftlichen Notzeiten auf Grund des sogenannten „Arbeiterstatutes“, einer Art Magna Charta der italienischen Arbeitnehmer, niemand entlassen dürfen. Ein Gesundschrumpfen kranker Branchen ist daher so gut wie unmöglich; einen chronisch defizitären Betrieb einzustellen, ein wahres Kunststück.

Das, was FIAT-Chef Agnelli im Herbst 1977, das „selbstzerstörerische Verhalten“ der Gewerkschaften nannte, etwa die Weigerung, Uberstunden leisten zu lassen, darf sicher nicht in erster Linie nur den italienischen Linkskräften und im konkreten Fall der KPI angelastet werden. Sicherlich aber hat man in der Vergangenheit zu einer überzogenen

gewerkschaftlichen Forderungslinie, die oftmals mit politischer Erpressungstaktik verquickt war, beigetragen.

Die von der kommunistisch-sozialistischen Gewerkschaft CGIL, die mit etwa 4,4 Millionen Mitgliedern stärker ist als die auf radikal-christliche Positionen ausgerichtete CISL und die sozialistisch-sozialdemokratisch-republikanische UIL zusammen, sind ebenso wie die französischen Linksgewerkschaften CGT und CFDT zwar wesentlich schwächer als die großen Gewerkschaften in der BRD oder in Osteuropa, dafür aber wesentlich kampfbewußter. Schon ihr altes marxistisch-klassenkämpferisches Vokabular verrät dies.

Der Arbeitgeber ist der „padrone“,

der „Herr“, die Arbeiter sind noch zum Teil die „ausgebeuteten Lohnsklaven“. Das Feindbild - und dies gilt sowohl für die KPI als auch in geradezu grotesken Ausprägungen auch für die KPF, welche sogar die Sozialisten als Feinde des sozialen Fortschrittes, als Verräter an den In-

teressen der Arbeiter, ja als Helfershelfer des kapitalistischen Regimes beschimpft - und nicht der Dialog bestimmt die Szene.

Von einer auf die jeweiligen spezifischen Verhältnisse abgewandelten Mitbestimmung nach deutschem Muster wollen die eurokommunistischen Linksgewerkschaften, die trotz ihrer betonten Autonomie noch mit einer festen Nabelschnur mit ihren Mutterparteien verbunden sind, nichts wissen. Mit dem „Butterbrot“ der Mitbestimmung will man sich nicht zufrieden geben - da man - so in Italien - darüber hinaus eine echte Kontrollfunktion bei den Produktionsentscheidungen in den Betrieben anstrebt.

Kein Dialog

Die Schwäche des Staates führte zur Versuchung, sich neben den Parteien auch als politisch qualifizierter Gesprächspartner gegenüber der Regierung zu etablieren. Dies führte in Italien vor wenigen Jahren zu einer Situation, in der die Gewerkschaften als „privilegierte“ Gesprächspartner der Regierung zunehmend auch die Parteien von der politischen Szene zu verdrängen schienen.

Die klassenkämpferische Lautstärke, die zu jenen italienischen Weltrekorden im Streiken und im „Unentschuldigt-den-Arbeitsplatz-Schwänzen“ („Assenteismo“) führte, die zum wirtschaftlichen Jammer des Landes entscheidend beitrugen, verdeckt dabei nur allzu oft die eigene Schwäche und Uneinigkeit. Italien ist auch heute, trotz einer spürbaren Abnahme der Streiks im vergangenen Jahr, der Streikführer Europas geblieben, in dem mitten in einer tragischen Krise auf allen Ebenen, mit rund 1,8 Millionen Arbeitslosen auch heute noch mehr gestreikt wird als in* allen übrigen Ländern der EG zusammen!

Permanentes Chaos

Die Streikwaffe im Arbeitskonflikt, die in den meisten westeuropäischen Ländern erst dann eingesetzt wird, wenn alle Vermittlungs- und Schlichtungsbemühungen erschöpft erscheinen, wird in Italien wie in Frankreich, mitunter auch mit politischen Zielsetzungen und Hintergedanken, oft noch eher leichtfertig eingesetzt.

Die Folge dieser Kurzsichtigkeit ist, daß die „wilden“, also nicht angekündigten Streiks „autonomer“ Gewerkschaften vor allem im öffentlichen Sektor für einen Zustand des permanenten Chaos sorgen. Diese Desparados der Gewerkschaftsfront, die sich im Faustkampf für Lohnvorteile an keinerlei Spielregeln halten, erhalten in Italien immer mehr Zulauf.

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