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Flucht in den Mai
Als man Ende des Jahres 1978 , einem zwar mit Generalvollmacht ausgestatteten, aber mit innerparteilicher Führungsschwäche kämpfenden Bundeskanzler das Ergebnis einer Meinungsumfrage vortrug, in der die Sozialisten mit 44% zu 39% gegenüber der Volkspartei, bei 4% Freiheitlichen und 13% Unentschlossenen, führten, entschloß er sich für vorverlegte Nationalratswahlen. Zusätzlich legte er noch das freiwillige Bekenntnis ab, daß er sich nur als Bundeskanzler einer AUeinregie-rung vorstellen könne.
Seitdem rätseln Kommentatoren und politische Gegner, was dem zaudernden Bundeskanzler zu dieser Flucht nach vorn und zur persönlichen Haftung über Sieg oder Niederlage veranlaßt haben könnte.
Wiederholt sich die Geschichte, die schon seinem Vorgänger Josef Klaus in messianischem Sendungsbewußtsein zu einem ebensolchen Selbstfaller inspiriert hatte oder suchte er für seine Person eine günstige Absprung basis?
Nach drei Wochen Wahlkampf sieht man da schon etwas klarer.
Besorgt beobachtete die LöweU straße, daß die stereotyp wiederkehrenden Slogans der Volkspartei über die Gefährdung der Arbeitsplätze und die verfehlte Wirtschaftspolitik bei der Bevölkerung zu greifen begannen.
Aus dem Wahltag „am ersten Sonntag im Oktober“ wurde flugs „einer im Mai“. Scheinbar unbelehrbar aus dem Zwentendorf-De-bakel herausgestiegen, verband der Bundeskanzler in einer Art Bekenntnisexhibitionismus seine persönliche Zukunft auch mit dem nächsten Volksentscheid.
Die nunmehr getroffene Entscheidung für den Maitermin hat die Regierungspartei wieder „aus
der Rolle des erstarrten Kaninchens beim Blitz erlöst“ und sie wieder handlungsfähig gemacht. Mit altgewohnter Virtuosität übernahm sie wieder die agierende Rolle und schüttete ein wahres Füllhorn an „Zuckerln“ über die Österreicher aus.
Die Volkspartei irritierte besonders die Übernahme ihrer alten Idee von der Arbeiterabfertigung. Eine zweiwöchige babylonische Sprachverwirrung gab Zeugnis, wie schlau die Regierungspartei ihren Wahlkampf angelegt hat. Der Vorwurf der Volkspartei, „die Sozialisten gingen mit einer Sozialoffensive auf Wählerfang ohne den Wahrheitsbeweis antreten zu müssen“, könnte nur durch eine neuerliche absolute Mehrheit der Sozialisten entkräftet werden.
Und an diese fatale Gelegenheit, daß die Sozialisten tatsächlich ihre Wahlversprechungen verwirklichen müßten, möchte die Volkspartei gar nicht denken. Denn den Vorschlag der Volkspartei, die Arbeiterabfertigung im Schöße der Sozialpartnerschaft zu lösen, würden die Sozialisten nach der Wahl garantiert aufgreifen.
Die Volkspartei war durch die Tatsache, ihren eigenen Vorschlag von der Arbeiterabfertigung aus dem Munde des politischen Gegners zu hören, einige Schreckenstage hindurch gelähmt. Die Wahlstrategen bei den Sozialisten sind mit dem Lauf der Dinge zufrieden. Die alte Tatsache, daß ein angeschlagener, in den Seilen hängender Boxer, zu allem fähig ist, hat sich wieder einmal bewahrheitet.
Als politische Kolumne soll dieser Beitrag durch Provokation zum Denken anregen. Die einzelnen Formulierungen des Autors müssen sich nicht mit den Auffassungen der Redaktion decken.
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