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Milder Herbst?

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Der Beschluß des zweiten Kabinetts Andreotti, die Mehrwertsteuer am 1. Jänner 1973 in Kraft treten zu lassen und damit endlich dem Beispiel der übrigen Länder des Gemeinsamen Marktes zu folgen, hat in Italien viele Gegner und einige Befürworter gefunden. Zahlreiche Sachverständige geben zu bedenken, daß diese neue Steuer, wenn sie die bisherige Umsatzsteuer ablösen soll, für die italienische Wirtschaft eine zusätzliche Belastung darstellt, die sie lediglich mit großer Mühe verkraften kann.

Nur wenige sehen die „economia“ bereits über den Berg der dreijährigen Krise, wenn auch allgemein anerkannt wird, daß mit der Zen-trumsregierung Andreotti, der neben Sozialdemokraten und Christdemokraten auch die Liberalen angehören, eine Voraussetzung ihrer Beilegung erfüllt ist. Können jedoch nach ihrem Parteikongreß (Mitte November) die Linkssozialisten nicht für eine gemeinsame Koalition gewonnen werden, so dürfte nach vorherrschender Ansicht das Wirtschaftsbarometer bald darauf einmal mehr auf tief stehen. Ein Kabinett mit einer „Dreistimmenmehrheit“ im Senat kann sich freilich nur mit Mühe und gelegentlichen Rettungsaktionen von Seiten der Neofaschi-sten, Linkssozialisten und Kommunisten über Wasser halten. Daß sich die Nenni-Sozialisten ihre Unterstützung sehr viel kosten lassen, versteht sich im unerbittlichen Machtkampf der italienischen Parteien, die zuerst an sich und dann erst an das Gesamtwohl denken, von selbst. Um vor der öffentlichen Meinung als Retter in der Not dazustehen und bei den Ende November stattfindenden Gemeindewahlen von 4 Millionen Wählern gut honoriert zu werden, arbeiten die Linkssozialisten jetzt einen Gesetzentwurf aus, der zahlreiche bedrohte Wirtschafts-bereichs ganz oder teilweise von der künftigen Mehrwertsteuer entlasten soll. Daß auf diese Weise das Vorhaben der Regierung Andreotti gleichsam ausgehöhlt wird und die Regierung den Autobus nach Brüssel am Ende doch noch verpassen könnte, ist innerhalb und außerhalb Italiens die Sorge aller Eurokraten des Gemeinsamen Marktes, die fürchten, ihr krankes Mitglied könnte wieder das gemeinsame Anliegen auf dem Altar partikulärer Interessen opfern.

Wird aber in Rechnung gestellt, daß zwei Drittel der kleinen und mittleren Betriebe sich mit Schuldenmachen über Wasser halten und damit das gesamte italienische Bankwesen belasten, so kann man den wirtschaftlichen Himmel in Italien auch von dieser Seite her nicht voller Geigen sehen. Ein Sonnenstrahl macht noch keinen schönen November. Ein objektiver Beobachter muß erkennen, daß viele positive Anzeichen sich lediglich aus der Erwartung auf eine Überwindung der Investitionskrise ergaben. Sicherlich wurde aber mit der Verbesserung des psychologischen Klimas und mit einem vermehrten Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit schon viel für die italienische Wirtschaft gewonnen.

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